Reiner Psychoterror in der Landkommune

■ „Ottos letzte Nummer — das Ende der Kommune von Otto Muehl“, heute um 23.40 Uhr auf Sat.1

„Tja, ohne den Otto, da gäb's dös alles hier net“, sinniert eine Frau mittleren Alters und klatscht mit Vehemenz ein paar Farben auf die Leinwand, die sie inmitten der paradiesischen Landschaft Gomeras aufgespannt hat. Aber ob es „dös“ noch lange geben wird, ist derzeit mehr als fraglich. Die „Künstlerin“ ist eine der letzten Getreuen des ehemaligen Happening-Künstlers, Tabuverletzers, Bürgerschrecks, selbsternannten Therapeuten und Kommunegründers Otto Muehl, die auf dem vor einigen Jahren erworbenen Areal auf der Kanaren-Insel noch ausharren. 40 weitere Unentwegte leben noch auf dem Friedrichshof im österreichischen Burgenland, wo in den frühen 70er Jahren alles seinen Anfang nahm. Muehl sitzt derweil in Wien und sieht einer Anklage der Staatsanwaltschaft entgegen, die wegen Vergewaltigung und Unzucht mit Minderjährigen ermittelt.

Die Reportage von Ulrich Stoll, eine Produktion des „Gruner & Jahr TV“ im Auftrag von „Kanal 4“, versucht die Geschichte dieser „Bewegung“ nachzuzeichnen, die zu ihren Blütezeiten nicht nur Tausende von Anhängern in ganz Europa hatte, sondern auch ein erkleckliches Vermögen erwirtschaftete. Neben Ausschnitten aus kommuneeigenen Videos aus den siebziger und achtziger Jahren stehen dabei vor allem Gespräche mit Aussteigern im Vordergrund. Rückschauend berichten sie das, was eigentlich schon seit geraumer Zeit bekannt ist: Was eigentlich die radikele Abkehr von bürgerlichen Zwängen sein wollte, die Abschaffung des Privateigentums, die freie Sexualität und vor allem die „Aktions-Analyse“, wie Muehl seine Therapieform der permanenten Zurschaustellung des Seelenlebens in der Gruppe nannte, war der reine Psychoterror.

Vor allem mit der Freiheit sei es nicht weit her gewesen, berichten die Ex-Kommunarden, da der Otto keinen Widerspruch geduldet habe. Die freie Liebe habe es auch nur gebenen, sofern der Herr und Meister keine eigenen Ansprüche angemeldet habe, und der sei vor allem scharf auf die jungen Mädchen, Kinder der Kommune, gewesen (weshalb die Staatsanwaltschaft auch jetzt gegen ihn ermittelt). So weit, so schlimm. Ärgerlich an Ulrich Stolls Reportage ist allerdings, daß er die „Opfer-Legende“ seiner Gesprächspartner bruchlos übernimmt und dabei unterschlägt, daß es schließlich durchweg Erwachsene waren, die sich weiland in die Hände des Meisters begaben. Wenn er im Kommentar von einer „Generation von betrogenen Idealisten“ spricht, die „psychisch und körperlich mißbraucht und finanziell ausgebeutet“ wurden, klingt das geradezu, als habe der böse Otto sich über eine Schar gutgläubiger Ministranten hergemacht. Reinhard Lüke