„Rumänische Heimstätte“ — Vatra RomÛneasca — nennen sich die nationalistischen Ultras Rumäniens. Ceausescus Realsozialismus hielt nur den Deckel auf den Rechtsradikalen. Nun ziehen sie fürs „Vaterland“ gegen ein geeintes Europa zu Felde. Vatra RomÛneasca und ihr Ableger im Parlament, die Nationale Einheitspartei, verfolgen eine ähnliche Politik wie die russische Pamjat, Schönhuber oder Le Pen. Die taz sprach mit dem Chefideologen der Vatra.  ■ WILLIAMTOTOKINTERVIEWTIONCOJA

taz: Herr Coja, Sie sind der Vizevorsitzende und Ideologe der umstrittenen Vereinigung „Vatra RomÛneasca“. Was für ein Programm hat eigentlich diese immer wieder als rechtsradikal bezeichnete Organisation, der bereits vier Millionen Mitglieder angehören?

Ion Coja: Das Programm der Vatra RomÛneasca ist einfach: Man könnte sagen, daß es nationalistisch ist, nicht chauvinistisch. Es ist ein nationalistisches Programm! Die Vatra RomÛneasca hat sich zum Ziel gesetzt, das Wort „Nationalismus“ zu rehabilitieren, weil die kommunistische Propaganda dieses Wort mit einer falschen, erfundenen Bedeutung ausgestattet hatte. Der Nationalismus hat, gemäß unserer Auffassung, für kleinere oder mittlere Kulturen, wie die rumänische, oder die anderer Völker, einen großen Vorteil. Das heißt, für diese Länder bedeutet Nationalismus im gegenwärtigen Augenblick eine Rettung. Der Nationalismus ist nur dann verabscheuungswürdig und verwandelt sich in eine negative und unangenehme Erscheinung, wenn er sich mit einer starken wirtschaftlichen und politischen Macht verbindet. In Ländern wie Deutschland oder Rußland, England oder China ist er besonders schädlich und kann sich in eine Art Imperialismus verwandeln. Angesichts eines solchen Imperialismus ist der Nationalismus der kleinen und mittelgroßen Länder eine natürliche Erscheinung. Wenn Sie mich fragen würden, warum wir Rumänen nationalistisch sein müssen, würde ich antworten, daß wir dies angesichts der Idee von einem vereinten Europa sein müssen, dem Gedanken von einer internationalisierten Welt. Demnächst wird es zur Verwässerung der einzelnen nationalen Kulturen und Identitäten kommen. Es handelt sich dabei um eine nicht zu unterschätzende Gefahr, die sich bereits deutlich abzeichnet. Es gibt ja schon ein angelsächsisches Kulturmodell. Sehen Sie nur die Filme oder die Unterhaltungsmusik, oder die amerikanischen Verhaltensweisen, die sich zusehends unter den Jugendlichen ausbreiten und die nationalen Identitäten der einzelnen Völker bedrohen. Aus dieser Perspektive gesehen versucht die Vatra RomÛneasca, die Elemente sichtbar zu machen, welche die rumänische nationale Identität zu zerstören drohen.

Stimmt es, daß die „Vatra“ auch über Auslandsorganisationen verfügt?

Auch Rumänen, die außerhalb des Landes leben, äußerten den Wunsch, sich uns anzuschließen und im Ausland Clubs oder Filialen unserer Vereinigung zu gründen. Ein aus Siebenbürgen nach Deutschland ausgewanderter Rumäne, ein gewisser Herr Sas, teilte uns mit, daß er bereits eine deutsche Auslandsfiliale gegründet hat. Ich kenne keine weiteren Details, aber ich habe ihm unsere Publikationen und andere Materialien geschickt. Ich hoffe, er hat seine Freunde und Kollegen über die wahren Ziele und Absichten der Vatra aufgeklärt. Auch in der sowjetischen Moldaurepublik erfreut sich die Vatra großer Sympathien. Die Leute fühlen sich von uns angezogen, aber auch der glücklich gewählte Name unserer Vereinigung übt eine besonders starke Anziehungskraft aus.

Die Vatra-Mitglieder gehörten zu den Wählern der Nationalen Einheitspartei der Rumänen, auf deren Listen auch der Führer Ihrer Organisation, Radu Ceontea, kandidierte und der auch ins Parlament eingezogen ist. Gleichzeitig sollen viele Vatra-Leute auch die Front zur Nationalen Rettung, also die Regierungspartei, gewählt haben. Wie ist das Verhältnis der Vatra zur „Front“?

Die Nationale Einheitspartei eroberte sich deshalb die Sympathien der Wähler — ebenso auch die Front —, weil das Gefühl der Unsicherheit unter den siebenbürgischen Rumänen nach dem 22. Dezember [dem Tag, als Ceausescu gestürzt wurde, d.R.] besonders groß war und weil die ungarische Minderheit durch verschiedene Aktionen und Stellungnahmen sogar das Leben der Rumänen gefährdete. Dies als ein Ergebnis fehlender Autorität der Regierung, der Polizei und der Armee. Der Ungarische Demokratische Verband ist verantwortlich für die zahlreichen Angriffe auf das Leben von Rumänen, aber auch für das Infragestellen der Zugehörigkeit Siebenbürgens zu Rumänien. Die Ungarn behaupten, daß nur sie unter Ceausescu zu leiden hatten. Nicht auch die Rumänen. Die Ungarn waren nach 1944 in Siebenbürgen der Stoßtrupp der KP, der Securitate und Staatsanwaltschaft. Was die Front betrifft, so kann ich nur sagen, daß sie zusehends an Anhängern verliert. Es ist schwer zu sagen, wo sie ideologisch steht. Die Front hat jedenfalls keine Gewalt über die Vatra.

Welches wären die Traditionen, die heute die Vatra RomÛneasca fortsetzt?

Ich bin der Kulturorganisation Vatra RomÛneasca aus mehreren Gründen beigetreten. Nicht zuletzt, um ihr eine bestimmte ideologische Richtung zu geben. Ich möchte noch sagen, daß eine der schönsten Traditionen, die diese Organisation fortsetzt, die Tradition der politischen und, warum nicht, nationalistischen und konservativen Gedanken von Mihai Eminescu [lebte 1850 bis 1889, d.R.] ist. Die von vielen unwissenden Leuten umstrittene Publizistik von Eminescu, dessen politische Gedanken heute besonders aktuell sind, gerade wenn man die Ereignisse in Bessarabien [die sowjetische Moldaurepublik, d.R.] näher betrachtet. Nicht zufällig wurde der Geburtstag Eminescus gerade in Bessarabien zum Nationalfeiertag erklärt. Das ist äußerst wichtig. Die Vatra versucht in ihren Publikationen und in ihrer kulturellen Öffentlichkeitsarbeit, das politische Gedankengut Eminescus zu verbreiten, weil sein Denken eine zutiefst rumänische Gefühlswelt wiederspiegelt und uns darin bestätigt, daß wir Rumänen in der Welt etwas zu sagen haben; daß irgend etwas existiert, was nur in Rumänien gesagt wurde und daß dieses Etwas überleben muß.

Der rumänische Nationaldichter Mihai Eminescu hat allerdings 1881 folgende Sätze geschrieben, die doch ziemlich deutlich sind: „Das eingewanderte Judentum überschwemmt die Städte Rumäniens und hat unsere Bevölkerung mit seiner moralischen und physischen Dekadenz angesteckt. Nicht entnationalisieren sollte man die Juden, denn es geht nicht darum, eine unproduktive Rasse dem Rumänentum zuzuführen, sondern man sollte sie aufgrund einer strengen Gesetzgebung zur Arbeit zwingen. Wenn es um den Schutz der rumänischen Rasse geht, sollten wir vor keinem Mittel zurückschrecken und es zum gegebenen Zeitpunkt einsetzen.“ Unter Ceausescu konnte die politische Publizistik Eminescus unbehindert und kommentarlos erscheinen...

Eminescu war kein Judenhasser. Damals gab es eine wahre jüdische Invasion, durch welche die nationale Identität der Moldauer bedroht worden war. Ceausescu ermöglichte uns eine Wiederbesinnung auf unsere nationalen Werte. Aus diesem Grund konnte er sich auch von den Russen distanzieren. Die Geschichte wird ihn eines Tages ganz anders einschätzen, als wir es jetzt tun. Ich glaube, wir sind heute viel zu streng in unserem Urteil über Ceausescu.

Glauben Sie auch, daß der 1946 als Kriegsverbrecher hingerichtete Antonescu [der militärfaschistische Diktator und Hitler-Verbündete 1940 bis 1944, d.R.] zu streng verurteilt worden war?

Eine Persönlichkeit wie die Antonescus hätte man nicht vor ein Exekutionskommando stellen dürfen.

Sie zitieren in Ihrem kürzlich erschienenen Buch Siebenbürgen. Invincibile Argumentum den rumänisch-jüdischen Autor Oliver Lustig mit der Behauptung, daß es unter Antonescu keine Judenvernichtung gegeben habe. Andererseits ist es doch bekannt, daß Antonescu ein eigenes Programm zur „Endlösung“ ausgearbeitet und zum Teil auch verwirklicht hatte. Der Bukarester Oberrabbiner, Moses Rosen, erklärte, daß während der Antonescu- Diktatur etwa 300.000 rumänische Juden ermordet wurden. Bekanntlich streiten sich die Juden ja immer untereinander. Sie kennen die Wendung: „Sie streiten sich wie die Juden im Tempel.“

Wer sagt nun die Wahrheit? Oliver Lustig oder Moses Rosen? Rosen war doch ein guter Freund Ceausescus. Er widerspricht mit seiner Behauptung nicht nur Lustig, sondern auch vielen anderen Juden, die auf jeden Fall ernster als er selber sind. Außerdem gibt es gar kein Quellenmaterial über diese Zeit. Nach Transnistrien, so hörte man, sollen aus strategischen Gründen Zigeuner deportiert worden sein. Während der Bombenangriffe drangen diese in die Häuser der Leute ein, um sie auszurauben. Über Judendeportationen ist mir nichts bekannt.

Die Vatra RomÛneasca betrachtet die ungarische Minderheit als einen destabilisierenden Faktor Rumäniens...

Wenn die Rumänen von den Ungarn sprechen, denken sie an den Demokratischen Verband der Ungarn aus Rumänien (DVUR), der als KP-Nachfolger angesehen werden kann, weil er genau wie die monolithische KP als alleiniger Sprecher der Rumänien-Ungarn auftritt. Dieser Verband ist wohl am 23.Dezember 1989 in Erscheinung getreten, aber alle Anzeichen deuten darauf hin, daß es ihn schon vorher gegeben haben muß. An der Spitze des Verbandes stehen die ehemaligen KP-Würdenträger, deshalb ist er nicht antikommunistisch, sondern antirumänisch. Ich mache diesen Verband für das Scheitern der rumänischen Revolution verantwortlich, sowie für die tragischen Spannungen in Siebenbürgen.

Nicht in der Vatra befinden sich die Nomenklaturaangehörigen, wie der ungarische Verband behauptet, sondern im DVUR. Die Vatra wurde zwei Monate nach der DVUR-Gründung ins Leben gerufen, und sie hat die ersten Demonstrationen zur Verteidigung des Rumänentums in Tîrgu Mureș organisiert. Bereits nach der Revolution konnte man die orchestrierten Aktionen beobachten, die mit einem Verleumdungskomplott gegen Rumänien gleichzusetzen sind, um den guten Ruf unseres Landes in der Welt zu beflecken.

Wer sind denn diese Verschwörer?

Auch die Anstifter der Ereignisse von Tîrgu Mureș, im Laufe derer die Rumänen tätlich angegriffen worden waren. Während der Zusammenstöße im März 1990 beteiligten sich an der Seite der Ungarn zahlreiche Zigeuner, die durch Bestechungsgelder von der DVUR angeheuert worden waren, um die Rumänen zusammenzuschlagen. Den Familien der nach den Ereignissen verurteilten Zigeuner zahlt der DVUR monatlich eine halbe Million Lei Schweige- und Schmerzensgeld. In Tîrgu Mureș sollten die Polizei und die Armee provoziert werden. Wäre das Feuer eröffnet worden, dann hätte die ungarische Armee dies als Vorwand zum Einmarsch in Siebenbürgen benutzt. Letztlich hätte Ungarn die internationalen UNO-Truppen zur Intervention aufgefordert und weiter Privilegien für die ungarische Minderheit verlangt.

Europa muß endich aufgeklärt werden, daß die Ungarn Siebenbürgens nicht nur über Rechte verfügen, sondern daß sie privilegiert sind! Es ist eine Schande, über welche Rechte die rumänische Minderheit in Ungarn verfügt. Die Vatra wäre zufrieden, wenn die Rumänen aus Ungarn dieselben Rechte wie die ungarische Minderheit Siebenbürgens hätten. Der DVUR ist zu keinem Gespräch mit der Vatra bereit, er terrorisiert jeden Ungarn, der in dieser Sache eine andere Auffassung vertritt.

Nae Ionescu, der „geistige Vater“ des rumänischen Faschismus, dessen Buch Die Windrose jetzt neu aufgelegt wurde, behauptet an einer Stelle, daß jeder Rumäne der orthodoxen Kirche angehören muß. Die anderen Religionsgemeinschaften Beigetretenen sind somit keine richtigen Rumänen.

Ich weiß gar nicht, ob man über einen rumänischen Faschismus sprechen kann. Und schon längst nicht über den „Faschisten“ Nae Ionescu, der zu den subtilsten Denkern Europas gehört. Seine Behauptung betreffend die orthodoxe Religionszugehörigkeit der Rumänen, bezieht sich auf eine bestimmte Mentalität. Außerdem möchte ich sagen, daß die orthodoxe Kirche keine imperialistischen Ansprüche hat. In der Vatra gibt es allerdings auch viele griechisch-katholische (unierte) Gläubige. Hinzuzufügen wäre noch, daß in Ungarn etwa 600.000 Unierte leben, das heißt Rumänen, die ihre Sprache, nicht aber ihre Religion verloren haben. Es handelt sich um zwangsmagyarisierte Rumänen: Sie haben durch terroristische Methoden ihre Volkszugehörigkeit verloren. Mit Hilfe der unierten Kirche könnten diese wieder in ihre rumänische Heimstätte zurückgeholt werden.

Aus Gesprächen mit ehemaligen Legionären [so nannten sich die rumänischen Faschisten in der Zwischenkriegszeit, d.R.] erfuhr ich, daß diese keine Faschisten wie beispielsweise die Anhänger Mussolinis waren, weil sie die Kirche nie ablehnten. Im Gegenteil: Die Legionäre fühlten sich der orthodoxen Kirche tief verbunden.