Hirngespinste

■ Intelligenz-Experten streiten über den Intelligenz-Begriff

Was Intelligenz ist, weiß eigentlich jeder. Wer in einem Intelligenztest einen hohen Intelligenzquotienten bewiesen hat, ist intelligent. Aber je mehr Wissenschaftler untersuchten und experimentierten, desto weniger konnten sie sagen, was Intelligenz nun wirklich ist.

Die erste wissenschaftliche Studie wurde 1904 von dem britischen Psychologen Charles Spearman veröffentlicht. Er stellte fest, daß es Menschen gab, die geistige Probleme verschiedenster Art gut lösen konnten, andere dagegen schwer. Er definierte den g-Faktor, der die generellen geistigen Fähigkeiten eines Menschen bestimmte. Aber nach 20 Jahren wußte er immer noch nicht, was dieser g-Faktor eigentlich sei.

Sein US-amerikanischer Kollege L. L. Thurstone glaubte nicht, daß dieser geheimnisvolle g-Faktor existierte. Seiner Ansicht nach gab es sieben verschiedene grundlegende geistige Fähigkeiten — verbale, numerische, räumliche, solche, die mit dem Erinnerungsvermögen und jene, die mit der Geschwindigkeit der Wahrnehmung zu tun haben.

Inzwischen interessiert Wissenschaftler, wie das Begreifen, der mentale Prozeß, der der Intelligenz zugrundeliegt, eigentlich vor sich geht. Darüber gibt es bisher kaum allgemein anerkannte Theorien, allenfalls einige Computermodelle.

Immer mehr Zweifel haben die Intelligenz-Experten auch, was eine hohe oder niedrige Intelligenz für Konsequenzen nach sich zieht. Lange war man überzeugt, daß eine hohe Intelligenz gute Leistungen in Schule und Beruf mit sich bringt. Lewis Terman, ein US-amerikanischer Psychologe, untersuchte die Lebensläufe von 1.528 kalifornischen Kindern mit außergewöhnlich hohen Intelligenzquotienten von 1921 bis 1991. Sie waren erfolgreich im Leben — also stimmte die These, schloß Terman. Mitnichten, entgegneten seine Kritiker, denn diese Kinder kamen fast ausschließlich aus der oberen Mittelklasse und waren keineswegs erfolgreicher als ihre weniger intelligenten, aber ebenso wohlgeborenen Altersgenossen.

Eine zweite, „Projekt Talent“ genannte US-Studie mit 100.000 Kindern, die seit den fünfziger Jahren beobachtet worden waren, belegt, daß es keinen Zusammenhang zwischen dem Intelligenzquotienten als Kind und dem Erfolg im Berufsleben gibt.

Neuere Forschungen des Briten Oliver Gillie gehen davon aus, daß es spezialisierte Formen von Intelligenz gibt — also genau das Gegenteil von Spearmans g-Faktor. Der US-Psychologe Stephen Ceci von der Cornell University stellte fest, daß Glücksspieler auf den Pferderennbahnen in Pennsylvania mit einem sehr niedrigen Intelligenzquotienten komplizierte Wahrscheinlichkeitsrechnungen im Kopf durchführten, um ihre Wettchancen zu ermitteln. Deshalb folgert sein Kollege: „Die Idee von der allgemeinen Intelligenz sollte über Bord geworfen werden. Sie erklärt gar nichts.“ Stefan Schaaf