Debatte über Verfassungskommission

■ Unterschiedliche Vorstellungen der Parteien über ein verfassungsänderndes Gremium/ Koalition will Bündnis 90 und PDS kein Stimmrecht einräumen/ SPD fordert Verfassungsrat

Berlin (taz) — Ihre unterschiedlichen Vorstellungen zu Verfahren und Inhalt der anstehenden Grundgesetzänderungen, haben gestern die Fraktionen des Bundestages in drei Anträgen dem Plenum zur Debatte gestellt. Die Regierungskoalition beschränkt sich dabei in ihrem Antrag auf Einsetzung und Verfahren eines gemeinsamen Verfassungsausschusses von je 16 Vertretern aus Bundestag und Bundesrat. SPD und Bündnis 90 forderten demgegenüber in getrennten Anträgen die Einsetzung eines Verfassungsrates mit 120 (SPD) bzw. 160 (Bündnis 90) Mitgliedern. Dabei sieht der Koalitionsentwurf vor, daß jedes Bundesland einen Vertreter in den Ausschuß entsendet. Die Fraktionen des Bundestages benennen ihre Ausschußmitglieder, wobei die Anzahl sich proportional zur Sitzverteilung errechnet. Bei 16 Vertretern bedeutet dies, daß Bündnis 90 und PDS keine stimmberechtigten Mitglieder im Ausschuß stellen können. Sie sollen lediglich je ein Mitglied mit beratender Stimme entsenden dürfen. Die Kompetenz des Ausschusses beschränkt sich auf die Beratung der anstehenden Verfassungsänderungen.

Demgegenüber fordert die SPD einen Verfassungsrat. Sie signalisiert bereits durch diese Namensgebung, daß ihr nicht nur Detailveränderungen des Grundgesetzes, sondern dessen „Weiterentwicklung zur Verfassung für das geeinte Deutschland“ vorschwebt. Der Verfassungsrat soll nach Frauen und Männern quotiert sein und von der Bundesversammlung bestimmt werden. Im Unterschied zum Koalitionsentwurf sollen dem Verfassungsrat auch unabhängige Persönlichkeiten angehören, die nicht Mitglieder des Bundestages sind. So möchte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Däubler- Gmelin Personen, die maßgeblich an der Revolution in der DDR beteiligt waren, zur Beratung über die gesamtdeutsche Verfassung heranziehen.

Während die SPD die „Stärkung der ökologischen und sozialen Verpflichtungen“ des Staates erwartet, zeichnet sich bislang ein breiter Konsens lediglich in der Frage eines — nicht einklagbaren — Staatszieles Umweltschutz ab. Die Präzisierung des Sozialstaatsgebotes im Grundgesetz wird von der Koalition abgelehnt. Die Aufnahme plebiszitärer Elemente ins Grundgesetz, wie sie vor allem vom Bündnis 90 mit der Zulassung von Volksebtscheiden gefordert werden, firmieren im SPD- Antrag etwas vage unter „Stärkung der Bürgerbeteiligung auch auf Bundesebene“. Die Koalition lehnt in diesem Punkt Änderungen ab.

Das Bündnis 90 plädiert in seinem Antrag für ein öffentlich tagendes Gremium, das auch Eingaben von BürgerInnen offenstehen soll. Der Verfassungsrat soll sich nicht nur mit Detailänderungen befassen, sondern einen Verfassungsentwurf erarbeiten. Nicht nur Bundestag und Bundesrat, sondern auch BürgerInnen, die von mindestens 100.000 Wahlberechtigten unterstützt werden, sollen vor dem Verfassungsrat ihre abweichenden Standpunkte vortragen können. Anders als in den Anträgen von Koalition und SPD soll der Verfassungsrat selbst über die neue Verfassung beschließen. Am Ende des Verfahrens steht dann ein Volksentscheid, der auch von SPD und FDP befürwortet wird.