Kampf mit den Dingen

■ Britta Lieberknecht und Reinhard Gerum tanzen „Bombsville“ im Schlachthof / Befreiung vom Diktat der Tische und Stühle

Sie packt einen alten Stuhl am Bein und schlägt ihn auf den Boden. Sie schlägt und schlägt, das Holz kracht und splittert. Teile hängen an einem Faden, fallen ab. Mit einem Stuhlbein zerschlägt sie, was noch ganz ist, Kraftschreie und Staubwolken stehen in der Luft. Das Polster zerreißt, die Füllung quillt heraus, die Federn werden durch die Wucht ihres Schlags immer länger, nur ein paar Trümmer, Späne und Holzwolle bleiben. Das Happening hinterläßt zwei nackte Menschen, einen zerschlagenen Fernseher und einen Haufen Dreck.

Britta Lieberknecht und Reinhard Gerum zeigen drei Tage lang ihr Tanztheater Bombsville im Schlachthof, ein Gesamtkunstwerk, das Dinge und Menschen neuen Bestimmungen zuführt. Die Ouvertüre: Rhythmisches Füßeabtreten auf einer grünen, kunstrasenähnlichen Plastikfußmatte. Ein Schaben und Kratzen, als wollten die zwei Menschen mit der Reinheit ihrer Schuhe auch die Reinheit ihres Charakters unter Beweis stellen. Die Stimme der Fußmatte klingt lokkend, dann fordernd und wütend, aber doch vertraut.

Alltagshandeln ist an vertraute Gegenstände gebunden. Gegenstände, die so selbstverständlich da sind, daß sie schon wieder unsichtbar sind: Der Küchentisch, die Stühle, die Regale, die Kaffeemaschine, der Besteckkasten, die Topfreiniger, Wäsche, Strümpfe - sie haben sich als Hauptakteure des Alltags auf der Bühne eingefunden. In der Mitte steht ein alter Wanderrucksack, aus dem, wie aus einem Wurzelballen, gedehnte Perlonstrumpfhosen — die Hosenteile abgespreizt wie Blätter — strahlenförmig in die Höhe sprießen (wo sie angebunden sind). Sie halten uns unsere Phantasielosigkeit im Umgang mit den Dingen vor und daß wir uns von Gegenständen fesseln, knebeln und stupide Bewegungen vorschreiben lassen, weswegen wir zuweilen unsere Wut an ihnen auslassen, oder sie zu Waffen umfunktionieren.

Sie wirft Besteckteile nach ihm. Er duckt sich, weicht aus, flieht, die Teile treffen ihn, er verbirgt den Kopf unter den Armen. Dutzende Gabeln und Messer hageln auf das Opfer nieder und fallen klirrend zu Boden. Er erhebt sich, fängt Teile ab, wehrt sich. Geht schließlich zu Boden. Britta Lieberknecht entledigt sich ihres Herrenoberhemdes, schwarze Wäsche kommt zum Vorschein. Sie zieht sich eines der Strumpfhosenteile über den Kopf. Die zwei meterweit entfernt angebundenen Strumpfbeine ragen wie lange Fühler von ihrem Kopf ab. Das Kobold- Strumpfhosen-Vamp-Wesen tanzt entfesselt in den Fesseln.

Er liegt derweil träumend auf dem nackten Federgeflecht eines Feldbettes. Das hatte kurz zuvor noch Männchen-machend im Bühnenvordergrund gestanden und hatte getan, als sei es ein Gitterfenster.

Gegenstände sind auch Träger von Erinnerungen. Sie wissen oft mehr von uns als wir selbst. Nach langer Zeit wiederentdeckt, sind sie plötzlich so lieb wie häßlich und plaudern alles aus. “Gegrüßt seist du Tisch, viele Jahre hast du mir Lampe und Buch gehalten... unter dir bin ich gegangen ohne den Kopf zu beugen“, so seine Liebeserklärung an einen Tisch, eines der wenigen Textfragmente. Die zwei kleinen Küchentische werden zu Bühnen für Frohsinn, verzweifelt vor das Gesicht geschlagene Hände und gelangweilt aufgestützte Ellenbögen, zu Springböcken, zu vorgehaltenen Waffen und Schildern im Zweikampf.

Er kommuniziert im Tanz mit der zweistieligen Lampe, die Pirouetten dreht, und ihre Hände, die zwei Glühbirnen sind, um seinen Hals legt.

Da spielen zwei den Alltag, verweigern sich ihm, zerstören seine Zeugen und schaffen sich ihre eigene Welt. Was schließlich zählt, sind nicht die Symbole, sondern der Krafteinsatz zweier Körper, die sich den Dingen widersetzen. Bombsville — übrigens im Selektionsverfahren für die dokumenta 92 — zum letzten Mal heute um 20.30 Uhr im Schlachthof. Beate Ramm