Der Himmel, eine Vorstellung

■ „Alles über Himmel und Hölle“ — ein Film von Diane Keaton

Zunächst denkt man, es handele sich um eine dieser typischen Fernsehdiskussionen. Drei ältere Herren parlieren im Studio, aber es geht nicht um die letzte Wahl oder den nächsten Staatsbesuch. Ihr Thema: der Himmel. Wie kommt man rein, wie sieht es da aus, was gibt es zu essen. Ein Ausschnitt aus einem Programm von Christian Television.

Ein Junge sagt: „Der Himmel ist weiß. Zu essen gibt es Marshmallows.“ Ein Liebespärchen gibt Auskunft: „Der Himmel ist Sex.“ Eine alte Frau gesteht: „Ich habe keine Angst. Da fliegen Engel, zwölf Engel.“ Gigantische Hollywoodorchester machen Himmelsmusik, Jean Marais schreitet durch Nebel, ein Mann klopft an der Himmelspforte an. Aber sein Paket mit der Aufschrift „Sünde“ paßt nicht durch die Tür. Eine Frau ist überzeugt, daß Gott aussieht wie Groucho Marx, eine andere hat ihn schon gesehen: Er kam direkt durchs Schlafzimmerfenster. Ein Prediger verrät, daß der Himmel nicht Amerika ist, und einer seiner Landsmänner empfiehlt: „Jedesmal, wenn Du duschst, bist Du einen Schritt näher am Himmel. Jedesmal, wenn du ein Steak ißt, bist Du einen Schritt näher zur Hölle.“

Die Schauspielerin Diane Keaton hat einen Film über den Himmel gedreht. Die Idee kam ihr, als sie in einem Mormonentempel von Salt Lake City einen Film über die Himmels- vorstellung der Mormonen sah. Sie wurde süchtig, setzte sich ins Kino und sah sich zig Industrie- und Werbefilme, religiöse Filme, alte Hollywood-Himmelsfilme an, wühlte in Archiven und christlichen Versandhäusern, hörte sich Songs zum Thema an, von Lionel Richie bis zu den Residents, und ging auf die Straßen von Los Angeles und Hollywood: „Ich bin Diane Keaton und ich mache einen Film über die Ideen, die die Leute vom Himmel haben.“ Kleinfamilien und Penner, Freundinnen und Kleinkinder, Omas, Reverends, Hippies und aufgetakelte Starlets gaben bereitwillig Antwort auf Fragen wie: Haben Sie Angst vor dem Tod? Gibt es Sex im Himmel? Wie kommt man in die Hölle?

Drei Jahre lang hat Keaton gesammelt und geschnitten, das Ergebnis heißt Heaven: ein rasanter Kompilationsfilm mit zahllosen Film-Szenen, verschnittenen Filmtoden, Schlaraffenlandbildern, Science- Fiction-Architekturen. Und dazwischen, in den Interviews, Glaubensbekenntnisse und Plastikträume, Visionen und Expertenauskünfte, Phantastereien und Albernes.

Das Verrückte dabei: Die Ideen vom Jenseits nehmen sich höchst diesseitig aus. Auf die Frage nach dem Himmel folgt der Traum vom Eigenheim, die Kids wollen Süßigkeiten und Amerikas Hausfrauen hygienische Verhältnisse. Wobei selbst die weiße Weste keineswegs nur eine Zukunftsvision ist. 72% der Amerikaner glauben, daß ihre Chancen, in den Himmel zu kommen, gut bis hervorragend sind. Aber von ihren Freunden, glauben sie, kommen nur 60% dorthin.

Bei der Montage ihrer Pretiosen hat Diane Keaton leider einen Fehler gemacht: Sie wollte unbedingt auch noch selber inszenieren. Statt die Aussagen ihrer Interviewpartner einfach zu Gehör zu bringen, hat sie sie in schrill-kitschige Studio-Interieurs gesetzt und das Abstruse und Verrückte der Antworten durch schnelle Zooms, hektische Gegenschnitte und deplazierte Nahaufnahmen zusätzlich zu überhöhen versucht. Auf die Frage an die alte Dame, ob sie an den Himmel glaube, hat Keaton dreißig, vierzig ihrer „Ja“s hintereinander montiert und die Kamera dabei auf ihr runzliges Ohrläppchen gehalten. So geht, trotz der Überfülle des Materials, Keatons (und unsere) Neugier immer wieder auf Kosten des Kunstwillens der Regisseurin. Weniger wäre da mehr gewesen. Aber immerhin hat sie eine Obsession. Das kann man von vielen Filmemachern nicht behaupten. Christiane Peitz

Diane Keaton: Alles über Himmel und Hölle (Heaven). Mit Spencer Tracy, Brigitte Helm, Jean Marais und über 180 gläubigen und ungläubigen Bewohnern von Los Angeles, Hollywood, Venice und Santa Monica. Schnitt: Paul Barnes. USA 1988, ca. 90 Min.