Die zwei Hartnäckigen

■ „Das Gesetz der Macht“ — ein Film von Michael Apted

Die Ausgangsidee nimmt sich aus wie eine knifflige Aufgabe für Drehbuchseminaristen: „Gerichtsfilme hatten wir schon genug. Wie wär's mal mit etwas ganz Neuem: Vater und Tochter als Anwälte der gegnerischen Parteien!“ Bei einer solchen Prämisse ist die Geschichte dann fast schon ein Selbstgänger: Man nimmt einen David- gegen-Goliath-Prozeß und potenziert dadurch das human interest; mit einer guten Besetzung und einem verläßlichen Regisseur entsteht daraus genau die Art von Film, die in einer schlechten Saison als Oscar- Favorit gehandelt wird.

Maggie (Mary Elizabeth Mastrantonio) und Jedediah Tucker Ward (Gene Hackman) vertreten die streitenden Parteien in einem Class- Action-Prozeß. In einem solchen Rechtsstreit steht die Klage eines Geschädigten stellvertretend für die anderer Opfer. Jed Tuckers Mandant hat wegen einer Fehlkonstruktion an seinem Wagen seine Familie und beide Beine verloren. Maggie Ward arbeitet für eine mächtige Anwaltsfirma. Sie ist eine Frau mit Ambitionen und Achillesfersen: eine davon ist ihr starkes Rechtsempfinden, eine weitere ist ihr Vater, eine dritte ist die Liebesaffäre mit ihrem Vorgesetzten, die sie nicht ihrer Karriere zuliebe unterhält. Jed ist ein charismatischer Bürgerrechtsanwalt alter Schule, im Gerichtssaal wird er zum flamboyanten Showman, der alle Register zu ziehen versteht, um auf der Gefühlsklaviatur einer Geschworenenjury zu spielen. Maggie hingegen ist nüchtern und korrekt, freilich ebenso hartnäckig wie ihr Vater, dem sie überdies nie verziehen hat, daß er ihre Mutter (Joanna Merlin) betrog. Das Drehbuch funktioniert nach einer gut geölten Mechanik, die Pflichtübungen des Genres absolviert es mit Bravour. Dennoch werden die bitteren Ironien, die diese Geschichte offenbaren könnte, nicht genügend ausgelotet: daß sich über Gefühl nicht verhandeln läßt, es im Gericht aber sehr wohl um die Manipulation von Gefühlen geht.

Michael Apteds Filme pflegen immer zwischen den Kategorien „solide“ und „sensibel“ zu oszillieren. Class Action gehört vor allem deshalb zur letzteren, weil er sich eines exzellenten Mitarbeiterstabes versicherte. Conrad Hall versteht es wie kein zweiter, das kalifornische Licht schwelgerisch-nüchtern zu feiern. Hier nuanciert er ein reizvolles visuelles Paradoxon: während Jeds altmodisches Büro immer dunkel ausgeleuchtet ist, werden die lichten, transparenten Büroräume, in denen Maggies Vorgesetzte ihre dunklen Machenschaften und Intrigen aushecken, von strahlendem Sonnenlicht durchflutet.

Gerichtsfilme sind natürlich in erster Linie Schauspielerfilme. Mary Elizabeth Mastrantonio ist hervorragend in ihrer Beharrlichkeit, der hilflos-unnachgiebigen Härte gegenüber ihrem Vater. Und Hackman beweist einmal mehr, daß er der überragende Charakterstar des New Hollywood ist. Den Zwiespalt, in dem Jed steckt — moralische Kompromisse zu verachten und doch jahrzehntelang mit ihnen gelebt zu haben, nimmt man ihm ab. Er versteht es, auch unsympathische Charaktere mit sympathischen Manierismen auszustatten.

Es macht den unaufdringlichen Reichtum eines Films wie Class Action aus, daß auch die Nebenrollen, und hier vor allem die Schurkenrollen, trefflich (Colin Friels, Donald Moffat) besetzt sind. Selbst die Statisten für die Rollen der Geschworenen sind sorgfältig ausgewählt: Werfen Sie einmal einen Blick auf sie, während Hackman sein flammendes Plädoyer hält. Das heißt, wenn es Ihnen gelingt, Ihre Augen von Hackman abzuwenden. Gerhard Midding

Michael Apted: Das Gesetz der Macht , mit Gene Hackman, Mary Elizabeth Mastrantonio, Colin Friels u.a., USA 1991.