Barbaren mit dunklen Gesichtern und Seelen

Die Roma in Siebenbürgen leben in entwürdigender Armut/ Seit dem Sturz der Diktatur häufen sich Pogrome gegen sie  ■ Aus Cluj-Napoca Paul Hockenos

Am äußersten Rand der transsylvanischen Hauptstadt Cluj-Napoca ist rund um das Chemiewerk ein Romaslum entstanden. Die halbzerfallenen Hütten entlang des gefrorenen Feldwegs sehen auf den ersten Blick unbewohnt aus. Die Mauern liegen in Trümmern, die Dächer sind eingestürzt und die wenigen verbliebenen Fenster notdürftig abgedichtet. Nur der Müll, der aus den Häusern hervorquillt, deutet auf menschliches Leben hin.

Hinter den lose in den Angeln hängenden Türen teilen sich Familien mit 15 oder mehr Mitgliedern den engen, dunklen Raum. Es gibt weder fließendes Wasser, noch Gas, Strom oder Toiletten. Behelfsmäßige Betten sind die einzigen Möbel. In einer Ecke sitzt eine schwangere Frau mit einem barfüßigen Mädchen auf dem Schoß.

Die entwürdigende Armut in den Romaghettos in Rumänien ist nur wenigen RumänInnen überhaupt bekannt. Seit der Revolution sei das Elend und der Hunger für sie noch größer geworden, sagen die SlumbewohnerInnen. Die zwei bis fünf Millionen Roma — immerhin zehn Prozent der Gesamtbevölkerung — sind die Sündenböcke für die aufkommende Unzufriedenheit mit den politischen und ökonomischen Veränderungen. Die weitverbreiteten Ressentiments gegen die Roma sind in offenen Terror umgeschlagen — doch von politischer Seite wird nichts unternommen.

„Der Ausbruch des Hasses gegen die Roma wird als legitime freie Meinungsäußerung angesehen“, sagt Nilcolae Gheorghe, Soziologe und einziger Parlamentsabgeordneter der Demokratischen Union der Roma in Rumänien. „Diese Vorurteile hegen die Menschen seit Jahren, aber unter der Diktatur konnten sie ihre Meinung weder offen aussprechen, noch in die Tat umsetzen.“

„Es gibt nichts, für das wir nicht verantwortlich gemacht werden“, klagt eine Frau. Als nach der Revolution die internationalen Hilfslieferungen gestohlen wurden, beschuldigte man die Roma. Als im März dieses Jahres ethnische Rivalitäten zwischen RumänInnen und UngarInnen ausbrachen, wurden nur die Roma verhaftet. Als die Preise stiegen und die Versorgung knapp wurde, wurde den Roma ebenfalls die Schuld gegeben.

„Natürlich stehlen auch einige Roma, aber wir werden alle behandelt wie Diebe. Jeder Roma wird diskriminiert, egal wie man sich verhält.“, erklärt Carmen, eine 26jährige Händlerin und Aktivistin in einer Romagruppe in Cluj. „Die meisten Roma wollen richtige Arbeit, aber sie sind die letzten, die Arbeit bekommen — und dann auch nur die schlechteste.“

Die meisten Roma verlassen die Schule bereits mit 12 oder 13 Jahren. Die Rate der AnalphabetInnen wird auf 70 Prozent geschätzt. „Uns wird gesagt, die Kinder könnten nicht zur Schule gehen, weil sie krank und schmutzig sind und keine Kleider haben“, sagt eine ältere Frau im Ghetto. „Aber wir haben kein Wasser zum Waschen und kein Geld für Medizin oder Mäntel.“

Auch die rumänische Presse hat den Roma den Kampf angesagt. Die Zeitungen quellen über von rassistischen Adjektiven wie „schokoladenbraun“, „sonnenverbrannt“, oder „dreckigbraun“. Die Roma werden als faule, nichtsnutzige Vandalen und „Barbaren mit dunklen Gesichtern und Seelen“ beschimpft. In der deutschsprachigen Zeitung in Temeswar, der 'Neuen Banater Zeitung‘, beschwert sich ein Autor, daß die „Zigeuner Waren auf dem Markt verkaufen, anstatt den Marktplatz zu kehren“ — wozu sie eigentlich da wären. In Leserbriefen heißt es, der einzige, der diese soziale Gefahr erkannt habe, sei Marschall Ion Antonescu gewesen: Antonescu, rumänischer Diktator während des Zweiten Weltkriegs, ließ Zehntausende Roma und über 300.000 Juden in Konzentrationslager deportieren.

Das starke Anwachsen ultrarechter nationalistischer Bewegungen und die positive Neubewertung der Politik Antonescus hat in der Romabevölkerung verständlicherweise die Angst wachsen lassen. Im Programm der neofaschistischen Gruppe Vatra RomÛneasca, die Millionen von Mitgliedern zählt, heißt es ganz offen, daß für Roma in einem rassisch reinen Groß-Rumänien kein Platz mehr sein wird. „Unser Ziel“, schreibt ein Faschist in der Bukarester Wochenzeitung 'Zig Zag‘, „ist ein von Zigeunern, Juden und anderen Feinden gesäubertes Groß-Rumänien.“

Seit dem Sturz der Diktatur sind die Roma fast jeden Monat Opfer von Pogromen, ohne daß die Behörden einschreiten. „Bürgermeister und lokale Polizeistellen tolerieren die Übergriffe, um sich vor den Leuten zu legitimieren“, sagt Gheorghe. „Es gibt niemanden, der sich öffentlich dagegen aussprechen würde.“

Vereint könnte die größte Minorität des Landes eine starke politische Kraft darstellen, aber die kulturelle Vielfalt steht einer effektiven Organisierung der Roma im Wege. Die über 40 Stämme, die es allein in Rumänien gibt, sind unter sich zerstritten. Die transsylvanischen Roma in Nordwest-Szekelyföld fühlen sich mit den UngarInnen mehr verbunden als mit den Roma in Moldavien. Viele Roma sprechen nicht einmal mehr das sanskritähnliche Romanes.

Nicht weniger als sechs Parteien der Roma sind zugelassen. Der politische Kopf ist der 55jährige Ion Cioba, Oberhaupt der umherziehenden Kesselflicker. Trotz seines Titels — „Großer Herr“ — ist seine Führung heftig umstritten. „Gheorghe und Cioba repräsentieren die fahrenden Roma, die aber unter den Roma eine Minderheit bilden“, meint Albert Dandos, Vizepräsident der Freien Demokratischen Union der Roma (FDUR). Die FDUR mit Sitz in Cluj repräsentiert die Arbeiterklasse und vertritt die Ideale der europäischen Sozialdemokratie. „Auf nationaler Ebene kämpfen wir für Recht und Demokratie für alle BürgerInnen Rumäniens. Auf lokaler Ebene setzt die Partei sich für gleiche Rechte der Roma in den Fabriken ein“, so Dandos. Die FDUR hat auch Kontakte zu den anderen sozialdemokratischen Parteien der Roma in Osteuropa geknüpft.

Im Ghetto allerdings ist die Unzufriedenheit mit den politischen Vertretern groß. „Warum sollten wir irgendetwas für eure Partei tun?“ schreit eine Frau und hält eine leere Arzneiflasche in die Luft. „Ihr helft uns einen Dreck!“ Dandos seufzt: „Sie denken, wir könnten alle ihre Probleme lösen.“

Geld- und Sachspenden für die Roma in Cluj können an das FDUR Büro geschickt werden: Uniunea Libera Democratica A Romilor, Str. Tipographei Nr. 28, Cluj-Napoca 3400 Romania.

Übersetzt von Bettina Deckert.