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Nur der Flamenco hilft aus den Baracken

Die meisten Roma leben in Spanien in Slums/ Der Straßenhandel wird immer stärker eingeschränkt/ Drogen haben viele Familien zerstört/ Bürgerproteste gegen Zuzug von Roma/ Musik als Berührungspunkt mit der Welt der Payos  ■ Aus Madrid Antje Bauer

An der Ausfallstraße von Madrid nach Talavera, am Scheidepunkt zwischen Stadt und Wildnis, lebt ein Dutzend Roma-Familien. Durch die Dächer ihrer Baracken tropft der Regen, durch die Wände dringt Feuchtigkeit. Fließendes Wasser gibt es nicht, die Siedlung bedient sich an einem Wasserhahn in einer Gasse. „Nachts kommen die Ratten und trinken am selben Wasserhahn“, berichtet eine grellblonde Roma-Frau. Unzählige Kinder spielen in den schlammigen Gassen, überall liegen Schrotteile herum. Vor einem Feuer sitzen ein paar Männer und spielen Karten, Frauen hängen Wäsche auf.

Die meisten Roma kennen ihr Leben lang keine andere Wohnung als ihre Baracke. Um alle großen Städte herum gibt es solche Slumgürtel. Selbst in kleineren Dörfern — in Andalusien etwa — leben die Roma außerhalb und erheblich schlechter als die „Payos“, wie die Nicht-Roma hier genannt werden. Ihr Aufenthalt in der Stadt ist flüchtig und verläuft meist im Familienrahmen: Im Zentrum von Madrid zieht häufig eine kleine Familie durch die Straßen. Sie errichtet ein Zirkuspodest, stellt eine Ziege drauf, und ein Sohn spielt auf einem elektrischen Klavier Tanzmelodien, zu denen der Familienvater unter dem stoischen Blick der Ziege Saxophon bläst. Die Tochter läßt einen Plastikbecher unter den Schaulustigen kreisen.

Der Straßenverkauf wird von den Behörden inzwischen stärker eingeschränkt. Immer mehr Roma haben sich deshalb aufs Dealen verlegt. „In jeder Familie hier gibt es mindestens einen Drogenabhängigen“, sagt Rafa Serrano. Rafa hat den Sprung aus der Baracke in ein Neubauviertel geschafft, in dem Roma und Payos zusammenleben. „Doch in Wirklichkeit leben wir nicht zusammen, sondern nebeneinander her“, präzisiert Rafa. „Die Payos machen die Tür nicht auf, sie trauen uns nicht.“

Die Politik, Romafamilien aus ihren Baracken in Sozialwohnungen umzusetzen, ist noch nie auf Gegenliebe bei den Payos gestoßen. Seit das Drogenproblem hinzugekommen ist, mehren sich die Bürgerproteste gegen den Zuzug von Roma. „Durch die Droge gehen auch unsere Familien kaputt. Denn bislang hat jeder respektiert, was der Familienälteste zu sagen hatte. Doch einer, der auf Entzug ist, kümmert sich nicht darum, was die anderen sagen“, beklagt sich Rafa. In einigen Gegenden haben die Roma inzwischen darauf reagiert. In einem Vorort von Madrid boten die Patriarchen des Viertels den Behörden an, für ein Ende des Drogenhandels zu sorgen, wenn wieder großzügiger Lizenzen für den Straßenverkauf vergeben würden. Und in Barcelona vertrieben die Patriarchen die Dealer aus dem Viertel. Doch auch ohne das Drogenproblem wird das Überleben für die „Gitanos“ (Zigeuner) in Spanien immer schwieriger. Seit der Reconquista und der Inquisition sind sie seßhaft. Ihre Sprache haben sie verloren. Im Straßenverkauf hatten sie einen Teil des Nomadentums beibehalten, doch dafür ist immer weniger Raum. Rafa und sechs weitere Familienväter haben deshalb vor knapp zwei Jahren in ihrem Viertel die Kooperative „Flor Kali“ (Zigeunerblume) gegründet, die an Straßenverkäufer Blumen abgibt. Für die Buchhaltung mußte ihnen ein Helfer beigestellt werden. „Davon haben wir keine Ahnung“, gibt Rafa zu. Doch die Koop bringt noch keine Gewinne ein. „Wir wissen, wie man betrügt, wie man etwas Schimmerndes als Gold verkauft und aus eins zwei macht. Aber von Rechnungen verstehen wir nichts“, sagt der alte Alfonso, der im Raum der Bürgerinitiative des Viertels in einer Ecke sitzt. Aus seiner Westentasche ragen zwei Stifte. Aber lesen und schreiben kann er nicht.

Die Gitanos heiraten in der Regel unter sich. Mischehen werden von keiner Seite gern gesehen. Nur wenige Roma kommen aus diesem Ghetto heraus — dann meist durch die Musik. Der echte, traditionelle Flamenco ist noch fest in den Händen vor allem der andalusischen Gitanos. Sie lernen voneinander, sie unterstützen sich. Flamencosänger und -tänzer treten auf Payo-Bühnen auf und werden dadurch bekannt. Der Flamenco, dieser langgezogene Klagegesang, in dem sich die jahrhundertelange Unterdrückung der Gitanos Luft macht, ist die Tür zu Freundschaften mit Payo-Musikern — eine der wenigen Verbindungen zwischen beiden Welten.

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