Die Jeanne d' Arc im Wirtschaftskrieg

Ein Porträt von Edith Cresson, Frankreichs erster Premierministerin  ■ Aus Paris Alexander Smoltcyk

Fast auf den Tag genau 560 Jahre, nachdem die arme Jeanne d' Arc auf dem Scheiterhaufen endete, werden Frankreichs Geschicke seit gestern 14.45 Uhr wieder maßgeblich von einer Frau geleitet. Fran¿ois Mitterrand ernannte die 57jährige Edith Cresson zur neuen Premierministerin der französischen Republik. Eine Premiere. Und nicht weniger kämpferisch als die Jungfrau von Orleans ist auch Frau Cresson. Erst vor kurzem hatte sie Premierminister Rocard ökonomischen Defätismus und mangelnde Industriepolitik vorgeworfen: Frankreich würde „nicht den Wirtschaftskrieg führen“, der angesichts der Stärke Japans und Deutschlands notwendig sei.

Edith Cresson, Absolventin der illustren Wirtschaftshochschule HEC und promovierte Demographin, gilt als getreue Mitterrandistin, hat sich jedoch nie auf die Grabenkämpfe in der Sozialistischen Partei eingelassen — ein Umstand, der ihr breite Sympathien in- und außerhalb der Partei einbrachte. 1981 wurde sie zur Landwirtschaftsministerin ernannt, geriet jedoch mit einem Bauernverband über Kreuz, der die elegante Pariserin nicht goutieren mochte. Also wurde Frau Cresson 1983 Ministerin für europäische Angelegenheiten, einen Posten, der ihr in Kürze erheblichen Respekt bei den Brüsseler Lobbyisten und Legislatoren verschaffte. Niemand spricht ein so lupenreines Englisch wie Edith, die von einer originalen Nurse erzogen wurde, niemand führt so vehemente Feldzüge im Banner der industriellen Modernisierung wie sie. 1985 wird Cresson Industrieministerin. Technokraten in den Pariser Ministerien ist der hemdsärmelige Aktivismus Frau Cressons unheimlich, zumal sie nicht mit Tiraden gegen die „ständig bremsende Beamtenschaft“ geizte. Als Frau Cresson aus der Regierung ausschied, wurde sie auch aufgrund ihrer Späth-würdigen internationalen Kontakte von der Industrie mit offenen Armen empfangen. Bis gestern nahm sie einen hohen Posten beim Elektronik-Riesen Schneider ein.

Als Premierministerin soll Edith Cresson Frankreich jenen „neuen Elan“ geben, von dem der alternde Präsident seit Monaten munkelt. Während sich Rocard in aller Ruhe auf die Präsidentennachfolge vorbereiten kann, wird seine eigene Nachfolgerin sich an der Ssyphusaufgabe versuchen, Frankreichs Patrons binnenmarktfähig zu machen. Erst vor kurzem hatte Frau Cresson geklagt, daß eine europäische Wirtschafts- und Monetärunion „beim jetzigen Stand der Dinge zu einem Europa führt, das von Deutschland beherrscht wird“. Wohlan: Es gilt Frankreich zu retten, Jeanne!