Verweigern in der DDR einfacher?

■ Zivildienstleistende verschleiern und verschlimmern mit ihrem Einsatz Pflegenotstand

Bonn (taz) — „Über eine Million junger Menschen“ haben in den vergangenen dreißig Jahren den Kriegsdienst verweigert, für Bundestagsvizepräsidentin Renate Schmidt „Anlaß genug zu feiern“. Michael Frenzel von den TotalverweigererInnen Ost-Berlin sprengte allerdings mit seiner Rede den Rahmen dieses „Empfangs anläßlich des Internationalen Tages der Kriegsdienstverweigerung“: „Was uns die BRD jetzt bietet, ist ein Rückschritt gegenüber der DDR“, sagte er.

In der ehemaligen DDR sei in den letzten Jahren mit Totalverweigerern „sehr großzügig“ umgegangen worden: „Sie wurden einfach nicht eingezogen.“ Frenzel berichtete, er sei vor einigen Jahren als letzter wegen Verweigerung im Gefängnis gesessen. In der Bundesrepublik müßten Totalverweigerer wie er immer noch mit Gerichtsverfahren rechnen.

Unter den „jungen Männern in den neuen Bundesländern“ herrsche zur Zeit große Unsicherheit: „Viele wissen nicht, daß sie nach dem Grundgesetz ein Gewissen haben und den Kriegsdienst verweigern dürfen“, sagte Frenzel. Als „Skandal“ bezeichnete der Ostberliner den Umgang mit denjenigen, die in der DDR einen Antrag auf den sogenannten Bausoldaten-Dienst gestellt hätten. Vielen sei in den vergangenen Wochen per Brief angedroht worden, sie könnten zur Bundeswehr eingezogen werden.

Ulrich Finckh von der Zentralstelle für den Schutz der Kriegsdienstverweigerer kritisiert auf dem Empfang im Bundestag: „Zivis sind ungewollt Mitverursacher des Pflegenotstandes.“ Qualifizierte Pfleger und Krankenschwestern würden in Heimen und Krankenhäusern durch billige Zivildienstleistende ersetzt — und das in einer Situation, in der „zahllose Schwestern und Sozialarbeiter“ arbeitslos seien. Volkswirtschaftlich rechne sich diese unmenschliche Knauserei nicht. Der Überwachungsapparat für die Zivis koste genauso viel wie in den Krankenhäusern eingespart würde. Pastor Finckhs Schlußfolgerung: „Die gesamten Zwangsdienste müssen weg!“

So weit wollte Bundestagsvize Renate Schmidt dann doch nicht gehen. Gut sozialdemokratisch wandte sie sich aber in ihrer Rede gegen die „Ungleichbehandlung gegenüber Wehrdienstleistenden“ und die „Diffamierung von Verweigerern als Drückeberger“. Tina Stadelmayer