Dem Charme der Kurtisane verfallen

■ »Der Pirat« von OFF OFF. Stücke für die Großstadt / Werktheater Wedding im Zan Pollo Theater

Drei Stunden Feuerwerk, Materialschlacht, pralle Körperlichkeit(Foto: David Baltzer / Sequenz)

Nahe dem U-Bahnhof Walter-Schreiber- Platz auf der Rheinstraße Richtung Schöneberg an einer Heavy-Metal Discothek vorbei durch die Hofeinfahrt des großen Fabrikareals in der fünften Etage eines Backsteinbaus im zweiten Hinterhof — dort ist der Spielort des Zan Pollo Theaters. »Haste mal 'ne Mark, ey?« fragt einer, der mit zusammengebundeten Beinen zwischen den Sitzreihen liegt. Ein Schauspieler? Rasch noch einen Blick in das Programmheft: Autorin Aphra Behn (ca. 1640 bis 1689), erste berufsmäßige Autorin Englands, deutschsprachige Erstaufführung. Eine Komödie?

Spanien um Sechzehnhundertetwas: Willmore, genannt: »der Pirat«, ein herumziehender englischer Taugenichts im spanischen Exil, läuft durchs Publikum und macht den anwesenden Frauen Anträge.

Eine singende Grazie nimmt sich wenig später auch der Männer im Zuschauerraum an. Zwei martialisch zurechtgemachte Soldaten, Freunde des Piraten, treten auf. Die beiden Hooligans wollen was erleben. Schließlich ist Karneval in der spanischen Kolonie, wohin es die unfreiwillig exilierten Söldner verschlagen hat.

Drei spanische Schwestern — Florinda, Hellena und Valeria — ergänzen das Personal, das für die Verwechslungskomödie benötigt wird.

Florinda, die Älteste, ist in Belville, einen der englischen Haudegen, verschossen. Unpassend nur, daß ihr Vater sie dem alten Kaufmann Don Vincentio versprochen hat.

Florindas Bruder Don Pedro will die Schwester mit seinem Freund Don Antonio verheiratet sehen. Sein wacher Aufpasser- Blick liegt auch auf der lebhaften Hellena, die nach Vaters Willen ins Kloster muß, der Weltlichkeit jedoch nicht entsagen mag. Zudem sind Don Antonio und Don Pedro dem Charme der Kurtisane Angellica verfallen, die für ihre Dienste den Un-Betrag von 1000 Kronen fordert. Zum Ärger der stolzen Spanier gibt sie sich — von der »Frauenseuche Liebe« infiziert — gratis dem Ausländer Willmore hin.

'Einem Mann müssen wir uns lebenslang unterordnen', stellt eine der Schwestern fest, 'dann ist es nur recht, wenn wir ihn uns selbst aussuchen'. Die drei beschließen, sich als Zigeunerinnen verkleidet ins Faschingsgetümmel zu begeben, um die Suche nach akzeptablen Männern aufzunehmen. Hellena verliebt sich in den unsteten Willmore, der — sich seiner Attraktivität bewußt — wie ein Straßenköter hinter den Frauen her ist. Auch Valeria findet ihren Briten.

Lustig ist die aufwendige Brautschau nicht. Die Frauen versuchen lediglich — dem bürgerlichen Lustspiel gemäß — ihre Position als Rechtlose zu verbessern, während die Männer versuchen, in sich hineinzuhören, ob tief in ihrer Brummbärenbrust nicht doch mehr als Machtinstinkt schlummert. Wer am Ende auf der Strecke bleibt, ist nach drei Stunden Feuerwerk klar: die Prostituierte wird mit lebenslangem Liebesleid bestraft, und die Hochzeits-, nicht Liebespaare bleiben zusammen. Doch keine Komödie?

Dazwischen Materialschlacht: tollere Kostüme als bei einer Off-Modenschau, gepfeffertere Dialoge als der Gruppenname »Off Off« befürchten läßt, ein gutes Dutzend selbstbewußter Schauspielerinnen und Schauspieler, die ihr Instrument, sich selbst, durchweg überzeugend zu spielen verstehen, pralle Körperlichkeit und das schlichteste sinnfällige Bühnenbild seit dem Garn- Theater (das fast keines hat) mit Farben, Farben, Farben.

Tatsächlich rutscht bei so vielen schönen Bildern, die aus der gut 300 Jahre alten Komödie hervorgingen, das Spiel gelegentlich in Kitsch ab: Nick Cave als musikalische Schlußeinlage ist nur deshalb nachzusehen, weil die Präsenz der Akteure die Kinkerlitzchen (des Regisseurs Donald Berkenhoff?) in den Hintergrund treten läßt.

Ob es der Ko-Produktion des Weddinger Werktheaters mit der freien Gruppe »Off Off. Stücke für die Großstadt« (wie wäre es mit dem Slogan: »offer als die anderen«?) gelingt, »Gewalt in seiner Fremdheit« zu zeigen ? Allzu vertraut wirken die vorgeführten Handlungsmuster, nach denen das Spiel um Liebe und Macht zwischen Austeilen, Waffenruhe und Einstecken funktioniert. Darüber lachen? Besser als Heulen jedenfalls. Stefan Gerhard

»Der Pirat« von Aphra Behn, Gastspiel von OFF OFF. Stücke für die Großstadt in Koproduktion mit dem Werktheater Wedding im Zan Pollo Theater, mittwochs bis sonntags 20 Uhr, bis zum 2. Juni