Gefuchtel und Geheule: Das »Rock Hard«-Festival

■ Sepultura, The Almighty, Armored Saint, Obituary, Blind Guardian und Morgoth

Das Programm des »Rock Hard«-Festivals in der Werner-Seelenbinder-Halle liest sich wie eine Tour de Force durch alle Bereiche zwischen Speed-, Death-, Doom-, Trash- und Sonstwas-Metal. Trotz der schwerlich ausbügelbaren Schönheitsfehler. Voivod, die nun schon seit Jahren erwarteteste Band in Berlin, scheinen den Weg entgegen der sich in der ganzen Welt herumsprechenden offenen Grenzen noch immer nicht in die hiesigen Hallen gefunden zu haben. Vielleicht sind aber auch bloß einmal mehr unter den Vetragstisch gefallen, der Fan wird es verkraften müssen, auch wenn mancher derweil sich bange fragen könnte, ob die Band aus Toronto womöglich gar nicht mehr existiert und ihr jähes Ende von gewieften Konzernvertretern geheimgehalten wird, während die vier Recken in einem dunklen Hochhauskellerloch angekettet vor sich hin modern.

So wie sich dieses klaffende Programmloch nicht überbrücken läßt, so übertrieben ausgewogen läßt sich über das anstehende Paket hinwegrutschen: dreimal Bölk- und Ballerstoff und dreimal üppiger Schmacht- Metal aus der Fantasy-Welt.

Stellvertretend für das Walhalla der wehenden Haare können The Almighty die meisten Publikumslieblingspunkte einheimsen. Gerade auf dem englischen Heavy Metal-Markt, der mit Klischees umfassend besät ist, legen sie flächendeckend und zähflüssig Trendgrenzen offen. Hatten Slammer sich noch als Eurokopie bemüht, amerikanischen Trashansprüchen Genüge zu leisten, so klingt bei The Almighty jeder Sleaze-Rock-Einfluß wie ein Altherrenaufguß eisenjungfräulichen Steppenwolfgeheules. Schlappe zwei Minuten sind die Musiker meist imstande, ein angenehmes Motörhead-Tempo hinzulegen, dann geht es schon sprotzsprotz, der Vergaser hustet, die Sängerlunge japst, und es muß erst einmal eine langatmige Bluespause eingelegt werden, bei der die Menge richtig dumpfverwöhnt stadionrundumschwenkend zum Mitklatschen aufgefordert wird. Twenty Years After, aber nicht der Allmächtige.

Auf der anderen Seite türmen sich dagegen hochkarätige Speedpakete. Da haben selbst Morgoth aus Meschede, einem Nest, das sonst nur für die »Bravo«-Brieffreundschaftsecke als Postanschrift geführt wird, einen Ruf zu verteidigen. Mit viel Rückenwind durch die einschlägigen Magazine sind sie in die vorderste Reihe deutscher Death Metal-Würdenträger katapultiert worden. Dem unbarmherzig klopfenden Dauertaktbeschuß des Schlagzeugs nach sind sie den amerikanischen Freunden von Napalm nicht unähnlich, in der Melodieführung bleiben sie fest und sicher im Sattel der Düsternis. Belohnt wurde ihre Standhaftigkeit zuletzt mit den Studioweihen durch Scott Burns, der ihre letzte LP in den Morrissound-Studios, Tampa/Florida, abmischte.

Dort gehen Obituary indes schon seit längerem ein und aus. Bei ihrem letztjährigen Auftritt im Ecstasy sorgten sie vor allem durch die exklusive Bühnenpräsentation einer unüberwindbaren Bodyguard-Reihe für das optische Wohl. Während sich vor ihnen unzählige Mister Universums (wer will, darf den Herrn Spindler in der Bantam-Klasse hinzuzählen) auftürmten, entfachten sie ein hundertprozentiges Death-Inferno, daß den meisten Betrunkenen in der vielköpfigen Gefolgschaft die Whiskey-Dröhnung wegblieb. Stocknüchtern sahen sie sich dann mit einem exzessiven Gehacke konfrontiert, das aus den Verstärkern quoll wie ein vorverdauter Brei. »Slowly we rot« war damals noch das jugendlich-weise Motto gewesen. Mittlerweile sind sie völlig in nekromanischen Phantasien aufgegangen. Der Fan wird es ihnen danken.

Der abschließende Höhepunkt des Abends kommt für das Genre ungewöhnlicherweise aus Brasilien. Sepultura waren bis zu ihrer vorletzten Platte eine Band, über die Kritiker meist hinwegsahen, getreu der romantischen Devise von der Unkritisierbarkeit des Schlechten. Überflüssiger Speedmetal, direkt für den Schrottplatz produziert. Doch ein Scott Burns zur rechten Zeit hilft manchmal regelrecht Wunder. Bereits die 89er LP »Beneath The Remains« erhob das Quartett in den Stand erstklassiger Speedmetaller, unmittelbar unterhalb der Slayer-Grenze. Mit der aktuellen Produktion gehen sie weiterhin in der gleichen Richtung, wie Slayer die auf »Seasons in the Abyss« vorgezeichnet haben: anstelle hochgeschwindigkeitstrunkenem Gefichtels schwerflüssiger knochenmahlender Heavy Metal, Stoff, zu dessen Härte Judas Priest nie in der Lage gewesen wären. Mit »Under Siege (Regnum Irae)« haben Sepultura sogar eine Single veröffentlicht, die berechtigte Charts-Erfolge nach sich zieht. Lagerfeuergitarrenzupfen, klaustrophobischer Beat, psychedelisch-satanische Stimmen und eine Melodie mit hohem Wiedererkennungswert wummern um die Wette, Death ist es immer noch. Sie können auch richtig gemein sein. Auf dem Festival in Rio haben sie Axl von Guns‘n‘Roses mit häßlichen Anrufen um den Schlaf gebracht, indem sie sich am Telefon als Skinheads ausgaben, die ihm nach der Wäsche trachteten. Da war der Axl aber fertig, und sie hatten ihren Spaß.

Wer also lange genug seine aufputschenden Flüssigkeiten bei sich halten kann, wird an Ende des Abends für zähes Ausharren in einer schier unendlich sich ergießenden Metallflut mit der letzten Ölung aus den Händen der bösen Brasilianer belohnt. Der Rest wird zu dieser Stunde wohl schon in der hausgemachten Lache vor sich hinschlummern. Harald Fricke

Ab 18 Uhr in der Werner-Seelenbinder-Halle