Der Bildungsmarathon unter den Linden

■ Die Zwölfte Berliner Volksuni findet in der Humboldt-Universität statt

Unter dem provozierenden Motto »Wie im Westen, so auch auf Erden« beginnt heute Abend die 12. Berliner Volksuni. Um 18 Uhr eröffnen Direktor Heinrich Fink, Schriftsteller Günter Grass, Jens Reich vom Neuen Forum und die Theologin Dorothee Sölle das dreitägige »wissenschaftliche Volksfest« in der Humboldt-Universität. Den Umzug von der Westberliner Hochschule der Künste in die Ostberliner Universität Unter den Linden bezeichnet Organisator Jan Rehmann als »mehr als nur einen geographischen Ortswechsel«. Das Kuratorium der Volksuni hat sich zum Ziel gesetzt, gerade im Ostteil der Stadt die dramatischen Folgen der deutschen Einheit zu diskutieren und oppositionelle Bewegungen aus Ost und West zusammenzubringen.

Das Ergebnis der Bemühungen kann sich in mehr als 100 Veranstaltungen sehen lassen. So diskutieren die brandenburgische Sozialministerin Regine Hildebrandt und der stellvertretende DGB-Vorsitzende Ulf Fink (CDU) über »Vereinigung als Verelendung- wie weiter in den neuen Bundesländern?«; der FU-Ökonom Klaus Peter Kisker wähnt die fünf neuen Länder »Treu(hand)lich geführt ins Chaos« und Jürgen Egert (SPD Berlin) spricht über »Arbeitsmarktentwicklung und soziale Aggression in der Region Berlin- Brandenburg.« »Den Ossi bestraft das Leben?« ist der zynische Titel einer Polemik gegen Mitleidskurs und Opferrolle von Christiane Reymann (PDS) am Samstagnachmittag. Tilmann Moser und andere geben die psychoanalytische West-Antwort mit der Diskussion: »Wer zuletzt lacht, lacht als Wessi?«

Neben der deutschen Einheit ist auch die »Neue WeltUnordnung« Thema der diesjährigen Volksuni. Friedensforscher Alfred Mechtersheimer referiert am Sonntag über die Umlenkung der Feindbilder und Militärpotentiale gegen die »Dritte Welt«, anschließend diskutieren Helmut Gollwitzer, Hilde Schramm und andere unter dem Titel »Israel, Deutschland und der Golfkrieg« die Zerreißproben der deutschen Friedensbewegung.

Die Fragen des Umgangs mit der sogenannten Dritten Welt haben auch die Frauen bei der 12. Berliner Volksuni für sich entdeckt. Der Vortrag »Feminismus hat viele Farben« erörtert das Spannungsverhältnis zwischen weißem Feminismus und Widerstandsformen von Frauen aus der »Dritten Welt«. Außerdem wird in zahlreichen Veranstaltungen auf die frauenspezifischen Probleme der deutschen Einheit eingegangen. Adrienne Göhler, Initiatorin der Hamburger Frauenliste und Christina Schenk (MdB) diskutieren über Möglichkeiten und Grenzen von Feministinnen im Parlament.

Die Volksuni beginnt Samstag bis Montag jeweils um 10 Uhr, um 19 Uhr ist dann der wissenschaftliche Teil des Tages beendet. Für ein abendliches Kulturprogramm ist auch gesorgt: Trauer und Trotz über den deutschen Vereinigungsprozeß bringt am Freiagabend um 20 Uhr die Leipzigerin Barbara Thalheim mit ihrer Band zum Ausdruck, am Samstag präsentiert der Berliner Kabarettist Martin Buchholz (»Wir sind, was volkt«) sein »löcherlich deutsches Programm, das zugleich ein Antigramm ist.«

Die Volksuni endet am Montag abend mit einer Abschlußfeier. Die Karten für das ganze Wochenende kosten 45, für Nichtverdienende 25 Mark, für einen Tag 22,50, beziehungsweise 12,50 Mark. Das komplette Programm ist im Buchhandel und ab heute abend in der Humboldt-Uni erhältlich. Jeannette Goddar

Vortragstermine unter den einzelnen Tagen