Zeitlupenspiel in eiskalter Luft

■ »Das Publikum« von Federico Garcia Lorca im Hebbel-Theater

Der Theaterdirektor: »Ich habe es gewagt, ein höchst verzwicktes poetisches Spiel zu schaffen, in der Hoffnung, daß die Liebe die Kostüme zerreißt und ihnen einen neuen Zuschnitt gibt.« Schon sein Dialogpartner, der Zauberkünstler, ist über diese Selbsteinschätzung erstaunt: er sehe nichts als »eine Sandlandschaft in einem trüben Spiegel«.

Der Theaterdirektor in diesem 1936 vollendeten surrealistischen Stück von Garcia Lorca, einem »Drama in Bildern« im Geiste Salvador Dalis und Luis Bunuels, das eigentlich Romeo und Julia heißt, kämpft für ein Theater unter freiem Himmel, in dem die Sterne und der kühle Nachtwind die Handelnden sind. Er ist der Autor von Romeo und Julia, will das poetische Spiel der Liebe, das Publikum indes sitzt ihm im Nacken, will ein Haus, ist der Fluch, der zu Konventionellem zwingt.

Der Regisseur dieses Theaterabends, Peter Weitzner, vormaliger HdK-Professor, liebt hingegen das Haus und die festen Säulen und eine vom Dramaturgen-Professor Peter Simhandel inspirierte konventionelle Dramaturgie. Mit seiner Inszenierung, einer Gemeinschaftsproduktion des Hebbel-Theaters und der Uckermärkischen Bühnen Schwedt, verrät er dieselben Ambitionen wie der Theaterdirektor, er verfügt indes nicht über einen alles verwandelnden Zauberkünstler: seine surrealistische Auflösung hat viel mit Umbaupausen zu tun. Die nichtlineare Stückdramaturgie zwingt er in eine Abfolge statischer und gleichförmiger Bilder, die kühnen Sprachmetaphern Garcia Lorcas werden mit Megaphonstimmen und in häufig schlechter Diktion gewichtig wie in der antiken Tragödie plaziert. Die zur Verdichtung eingespielte aufwendige Geräuschkulisse von Chico Mello spielt nur auf den Nerven und raubt die letzte Konzentration auf den Text. Das Spiel der Masken, die erotischen bis obszönen Liebesspiele, die Personenzitate, der Grenzgang zwischen Fiktion und Realität in der Fiktion: von zahlreichen Vorhängen und blacks unterbrochen, entfaltet sich ein schwerfälliges, lang gedehntes Zeitlupenspiel. Das genaue Gegenteil der vom Surrealismus gewünschten Magie des Augenblicks, des Schocks und der Üüberraschung. Garcia Lorcas Wunsch, in vielleicht fünfzig Jahren verstanden zu werden, hat sich hier nicht erfüllt.

Dabei lädt das Spiel ums Spiel und alle Formen der Liebe, um Gewalt und Repräsentation zu allen nur denkbaren Inszenierungsfindigkeiten ein. Freilich müßte man dann »das Publikum« inszenieren, sichtbar machen, was der Autor dargestellt wünschte: das Unbewußte des Zuschauers, sein verschwiegenes Begehren, der Untertext, der im Betrachter beim Betrachten entsteht.

Die Bühnenbildnerin Nina Weitzner hat das Stück in eine postmoderne, den Kitsch streifende Objektwelt gesetzt. Das von Peter Weitzner proklamierte »Objekttheater« entzündet nicht die versprochene magische Korrespondenz zwischen Objekt und Mensch, verleiht nur den Akteuren Objektstatus, läßt sie ebenso steinern wie die aufgestellten Statuen sein. Keine Kostüme werden, wie angegeben, zerrissen, die einfallsreichen Kostüme von Norma Mack sind eher das einzige, dem Bühnenpräsenz nicht abgesprochen werden kann.

Der Theaterdirektor: »Alle Türen aufzubrechen ist die einzige Rechtfertigung des Theaters.« Er hat sie, sagt er, aufgebrochen und den kalten Nachtwind hereingelassen, ihm ist kalt. Im Hebbel-Theater war es in der Tat eiskalt, freilich nicht wegen aufgeschlagener Türen, sondern weil einen die Lüfte des »Theaters im Grab« anwehten. Das Publikum war nach der Pause davongelaufen, so fühlte sich auch kein Theaterdirektor von ihm bedroht. Michaela Ott

Bis zum 18. Mai im Hebbel-Theater, jeweils um 20 Uhr.