Eine Stadt erstickt an ihrem Müll

■ Umweltsenator Hassemer appelliert an Umweltverbände, Bau neuer Mülldeponien nicht zu verzögern/ BUND fordert »Parkhäuser« für Sondermüll/ Müllberg wächst derweil weiter

Mitte. Berlins Sondermüllproduzenten geht's an den Kragen: Die Umweltverwaltung will im Westteil der Stadt bis 1995 alle etwa 1.200 genehmigungsbedürftigen Betriebe erfassen, erklärte Wolfgang Bergfelder, Abteilungsleiter der Senatsverwaltung für Umweltschutz, am Mittwoch abend auf einer Veranstaltung des BUNDs zum Thema Müll. Bisher kann die Menge des in Berlin anfallende Sondermülls nur geschätzt werden. Ein Gutachten der Berliner Ingenieursgemeinschaft Technischer Umweltschutz (ITU) hat rund 330.000 Tonnen Sondermüll jährlich errechnet, von denen fast die gesamte Menge auf Deponien oder in Sondermüllverbrennungsanlagen Brandenburgs landet. Rund 15.000 Tonnen werden in der Hauptstadt verbrannt.

Es sei in der Abfallwirtschaft »fünf nach zwölf«, meinte Berlins Umweltsenator Volker Hassemer (CDU). Die Deponien Brandenburgs müßten betrieben werden, obwohl sie ungenügend gesichert seien. Es müßten sehr schnell neue Deponiestandorte gesucht werden, damit man nicht im Müll ersticke. Wenn Umweltverbände den Bau der Anlagen hinauszögern, sei dies kein Erfolg, da die Betriebe den Sonderabfall auf ihren ungesicherten Grundstücken lagern müßten. Erschwert werde der Kampf gegen den Abfall, erklärte Christian Schrader, Mitarbeiter im Brandenburger Umweltministerium, durch den erst beginnenden Aufbau ihrer Behörde, das Fehlen eines Landesabfallgesetzes und nicht zuletzt durch vielerorts veraltete Produktionsanlagen.

Carsten Sperling, Abfallexperte des BUNDs, schlug den Bau sogenannter Müll-Parkhäuser vor. In den Gebäuden solle Sondermüll zwischengelagert werden, bis umweltverträgliche Lösungen gefunden sind. Im Unterschied zur jetzigen Praxis sei nicht die Stadtreinigung, sondern der Produzent Eigentümer des Mülls. Er müßte für die Müll- Parkplätze Miete bezahlen und später die entstehenden Kosten bei der Entsorgung bezahlen.

Senator Hassemer fand Sperlings Idee »lustig«, bezeichnete aber eine Abfallabgabe als effektiver: »Betriebe müssen sofort spüren, daß Müll verursachen Geld kostet.« Im Gegensatz zu Steuern wäre eine Abgabe zweckgebunden und könnte unter anderem die Sicherung des Grundwassers finanzieren. Sperling wandte ein, daß Abgaben zu billig seien. Zum Beispiel sei der Preis für die Entsorgung von Lackabfällen verdoppelt worden, ein Neuwagen koste deshalb nur fünf Mark mehr.

Bergfelder hielt die Parkhausidee juristisch für nicht praktikabel. Formal sei dies ein Zwischenlager und diese dürften nur noch eingerichtet werden, wenn man nachweisen könne, wo der Müll nach der Lagerung entsorgt werde — eben das könne man heute nicht. Inzwischen sei die Abfallsituation so verfahren, daß die Umweltverwaltung »die Möglichkeit extensiv nutzt«, Müllproduzenten vom Anschlußzwang an die Entsorgung der Stadtreinigungsbetriebe zu befreien: »Wir haben keine Entsorgungsmöglichkeiten mehr.« Mittlerweile würden 8.500 Tonnen Sondermüll privat entsorgt. Der Giftmüll soll in Verbrennungsanlagen in Westdeutschland verschwinden, doch keiner weiß, wo genau.

Gemeinsame Abfallwirtschaft

Auf ihrer ersten gemeinsamen Konferenz vereinbarten die Staatssekretäre von Berlin und Brandenburg am vergangenen Mittwoch, ein gemeinsames Konzept für die Abfallbeseitigung erarbeiten zu wollen. Brandenburg fordert, daß die bisher aus Berlin angelieferte Müllmenge mittelfristig verringert und weitestgehend aufgearbeitet wird. Ab 1994, wenn der Müllvertrag mit Berlin ausläuft, müsse es eine »komplett neue Abfallwirtschaft« geben, sagte der Chef der Potsdamer Staatskanzlei, Jürgen Linde. Berlin werde mithelfen müssen, die Deponien zu beseitigen. Nach Lindes Angaben kostet allein die Sicherung der Müllhalden mindestens eine Milliarde Mark. Im Gegensatz zu Linde sprach sich Volker Kähne, Chef der Berliner Senatskanzlei, gegen den Bau einer Müllverbrennungsanlage im Berliner Stadtgebiet aus. diak