„...dann bist Du out“

■ „Doppelpunkt“, ZDF, Mi. 19.30 Uhr

Es gibt Bereiche des menschlichen Lebens, bei denen das Medium Sprache sich als zu dürftiges Ausdrucksmittel erweist. So auch bei dieser Sendung, als vor der Kamera von Betroffenen über das Zusammenleben zwischen Behinderten und Nichtbehinderten, über Sexualität und Liebe geredet wurde. „Ich mußte“, sagt einer, der seit seiner Geburt auf einen Rollstuhl angewiesen ist, „erst lernen, mich selbst zu lieben, mich selbst zu streicheln, auch diejenigen Partien meines Körpers anzuerkennen, die ich nicht mag.“ Das war in relativ klaren, knappen Worten dahingesagt; der unendlich mühsame Prozeß, der damit verbunden war, er blieb notwendig ausgespart.

Zwar wurden alle relevanten Fragen angesprochen — die nach der Sexualität, die nach dem Mitleid und das Problem, daß der Partner in eine Pflegerrolle hineinwächst, und selbst die Trennungsphantasien des gesunden Partners kamen zur Sprache — und doch, oder vielleicht gerade deshalb ging das alles zu mühelos über den Bildschirm. Bei jedem neuen Aspekt, bei jeder neuen Facette des Themas hätte man „Halt!“ schreien mögen. Fast wäre man gewillt zu sagen, weniger wäre mehr gewesen. Es scheint der Preis zu sein, den man für eine Live-Diskussion zahlen muß. Die mindeste Erkenntnis dieser Sendung war, daß das Medium in seiner Gänze zu wenig zu diesem komplexen Thema beiträgt. Zwar wurde in der einen oder anderen Sendung schon einmal ein Rollstuhlfahrer gesichtet, Alfred Biolek hatte gar den Mut, einen Stotterer in all seiner quälenden Langsamkeit zu präsentieren, über Exotik geht das alles aber nicht hinaus.

Auf die Gefahr hin, daß das als billige Effekthascherei kritisiert worden wäre, hätte die Kamera den Einzug der Diskutanten in ihren Rollstühlen zeigen sollen. Denn wie sie da alle so saßen, da wahrten sie doch die Fassade der Normalität, gegen die sie tagtäglich ankämpfen. Denn, wie hatte eine junge Frau berichtet, wenn sie sich lange und intensiv mit einem jungen Mann interessiert unterhält und dann versucht aufzustehen, um in ihren Rollstuhl zu gelangen: Dann kommt beim Gegenüber der Schock, dann bist du out. Bei aller Ehrfurcht vor dem Wort, gerade das Bildermedium Fernsehen ist auf solche Szenen angewiesen. Karl-Heinz Stamm