Stell Dir vor, das ZDF kommt nach Dresden...

■ ...und keiner geht hin — Nachbemerkungen zu einer Diskussionsveranstaltung ohne Gäste

„Überall ist es besser, wo wir nicht sind“, müssen sich die Mitarbeiter der ZDF-Redaktion Kleines Fernsehspiel gesagt haben, als sie mit dem Film von Michael Klier vorletzte Woche in Dresden so gut wie in der Familie blieben. „Ihr mit uns — das ZDF unterwegs“, mit dieser geradezu rührenden Diktion hatten sich beinahe ein Dutzend Mainzer auf den Weg ins „ehemalige Tal der toten Augen“ gemacht, wo das Kleine Fernsehspiel erst seit Dezember empfangbar ist. Umso größer das Interesse, sollte man meinen, aber weit gefehlt: Wo vor zwei Jahren noch Straßen hätte abgesperrt werden müssen vor lauter Andrang und Westneugier, verlor sich die technisch durchaus aufwendige und inhaltlich gut zusammengestellte Präsentation eines besonderen Sendeplatzes in einer Landschaft schnöden Desinteresses.

Zwar hatte der Sächsische Staatsminister für Wissenschaft in einem markigen Grußwort ehrerbietig daran erinnert, daß „die westdeutschen Fernsehsender in der Zeit vor der Wende für die Menschen in der damaligen DDR das Fenster zur Welt waren“, doch letzteres gilt vorerst wohl mehr fürs Straßenbild. ZDF-Intendant Stolte sandte ebenfalls ein Grußwort vom „Angebot zum Gespräch“ und „Das ZDF nimmt seinen Integrationsauftrag ernst... Es will dabei auch Mut machen.“ Den aber brauchten die Gäste aus Mainz viel eher: Als die den Veranstalter von der „Filminitiative Dresden e.V.“ ganz vorsichtig fragten, mit wieviel Gästen denn bitte schön zu rechnen sei, bekamen die die handfeste Antwort: „Ob der Dresdner kommt oder nicht, weiß nur er selber, da steckt nun mal keiner drin.“ Und Eckart Stein, der Redaktionsleiter des Kleinen Fernsehspiels, setzte in seinem gedruckten Grußwort der Erwartungen noch eins drauf: „Wir suchen das große Erlebnis des Ausdrucks in der Kommunikation!“ Nur gut, daß der angekündigte ZDF-Fiction-Chef Heinz Ungureit in letzter Minute absagen mußte — das Sitzen in der Neun-Uhr-Sonne an einem Sonntag, in der Dresdner Straße der Befreiung, hätte seinen Glauben an den Aufschwung Ost in dieser Gebührenregion arg ramponiert.

Ich selbst war vor allem aus Neugier nach Dresden gefahren, weil es hieß, die Off-Szene von dortigen Filmemachern würde sich einfinden, aber auch sie blieb weg, wenn es sie denn überhaupt gibt. Kommentar des Filminitiativlers Polenz auf meine Nachfrage: „Wir haben getan, was wir konnten“, und dann brüsk: „Aber diese steifen, öffentlich-rechtlichen Beamten vom ZDF haben uns gleich nicht gefallen. Da gehen hier gleich alle Scheuklappen runter — sowas verträgt sich nicht mit unserer Basiskultur, die sonst enorm Leute anlockt.“ Bei soviel unverdautem Neudeutsch entsteht fast der Eindruck, hier sollten die Gäste, die sich beileibe nicht selbst eingeladen hatten, auflaufen, ja abblitzen, damit man ihnen mal so richtig zeigt, was von den Konquistadoren zu halten ist. In diesem Fall wahrlich ein trauriger Irrtum. Eigentlich könnte ich mit der Formel „Perlen vor die Säue“ die Sache für mich „abhaken“, wenn da nicht sogar Scham aufkäme für etwas, das man seit Wegfall der DDR auch territorial nicht mehr mitzuverantworten geneigt ist. Irgendwo werde ich als ehemaliger Landsmann den Verdacht nicht los, daß sich unter der Zauberformel „e.V.“ dort jene alimentierte DDR-Gemütlichkeit fortsetzt, bei der die Effizienz jeder „Aktivität“ geschönt wurde und eigentlich egal war, ob Publikum kam oder nicht — man steckte ja, wie gesagt, nicht drin. Dietmar Hochmuth