: Nicht Jazz und nicht Hip Hop: Funk in Cannes
Spike Lees „Jungle Fever“: Die Festspiele wachen auf ■ Aus Cannes Thierry Chervel
„No!!!“ schreit Flipper am Ende. Ein Mischlingsmädchen hat sich ihm gerade für zwei Dollar angeboten. Sie braucht Geld für Crack. Flipper zieht ihren Kopf an seine Brust, als müßte er sie beschützen. Oder verstecken?
Dieses „No“ ist wohl nicht allein als Spike Lees Statement gegen Crack — sein erstes Statement zu Drogen überhaupt — zu verstehen, sondern auch als eines gegen die Vermischung der Rassen.
Zum Glück fällt es längst nicht so eindeutig aus, wie nach Lees letztem Film zu befürchten war — in Mo' Better Blues hatte er ein synthetisches reinschwarzes Glück und eine Jazzszene konstruiert, die es so nicht gibt und nie gab. Drogensüchtige können auch ganz weiß oder ganz schwarz sein, Jungle Fever verschweigt es nicht. Tiefschwarz ist Flippers eigener Bruder, der mit seiner Crack-Sucht Unglück über sich und seine Familie bringt, tiefschwarz ist der Dealer, der Flipper — den erfolgreichen New Yorker Architekten — um ein Appartement mit Terrasse angeht. Und Flippers kleine Tochter Mink ist ein Mischling, obwohl seine Frau Drew eine Schwarze ist.
So kompliziert ist das: Zu Anfang des Filmes verläßt Flipper Frau und Tochter — genauer: Seine Frau schmeißt ihn raus —, weil er sich in seine weiße Sekretärin Angie verliebt. Am Ende kehrt er zu Frau und Tochter zurück, weil sich die Liebe zwischen Schwarz und Weiß — zumindest in seinem Fall — nicht realisieren läßt. Beide waren von ihren Gemeinschaften in Harlem und Benshurst ausgestoßen worden. Sie mußten in ein Appartement im neutralen Greenwich Village ziehen und waren radikaler aufeinander angewiesen, als sie aushalten konnten. Dabei ist Angie, die aus einer italienischen Familie kommt, dunkler als Drew. Trotzdem wird die hellhäutige Drew als Schwarze diskriminiert und Angie nur als Italienerin. Jungle Fever ist konventioneller erzählt als She's Gotta Have It oder Do the Right Thing.
Man sollte sich allerdings hüten, Lee deshalb gleich Anpasserei vorzuwerfen.
Der Film ist zwar — wie die vorigen — von einer Major Company produziert worden, aber Lee hat sich wie immer das Recht am „Final Cut“ gesichert. Das heißt, er hätte den Film auch ganz anders schneiden können. Vielleicht hat er es einfach nicht mehr so nötig zu beweisen, daß er einer der intelligentesten Regisseure des heutigen Kinos ist. Jungle Fever ist nicht mehr auftrumpfende Setzung, kein Rap, der vom Überleben erzählt und nebenbei möglichst komisch und vorlaut auf seinen Autor aufmerksam macht. Der Witz der Montage, der typisch ist für Lee, und die Tendenz zum Sketch in den Dialogen werden diskreter, also vielleicht nur um so effizienter gehandhabt. Die Filmmusik ist nicht Jazz und nicht Hip Hop, sondern von Stevie Wonder. Hinzu kommen Stücke von Frank Sinatra, Wynton Marsalis und Mahalia Jackson. Und nach wie vor weiß Lee ganz genau, welche Szene er mit welcher Musik kontrapunktiert. Überhaupt ist er der einzige Regisseur, der es je geschafft hat, den Funk schwarzer Musik aufs Kino zu übertragen.
Jungle Fever hat einen Stromstoß in dieses Festival gejagt, das gerade über müßig-abstrakten Experimenten und mutlosem Durchschnitt einzunicken drohte.
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