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Mainz erstrahlt in neuen Farben

Sozialliberale Koalition in Rheinland-Pfalz (fast) perfekt/ Abschließende Entscheidung über das Scharping/Brüderle-Projekt heute auf Landesparteitagen von SPD und FDP/ Harsche Kritik der Jusos  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Mainz (taz) — Die rot-gelbe Koalition in Rheinland-Pfalz ist (fast) perfekt: Noch rechtzeitig vor den „Tagesthemen“ der ARD hatten die kleinen Parteitage von SPD und FDP am Mittwoch im Mainzer Landtag in getrennten Sitzungen mit jeweils großer Mehrheit der Bildung einer sozialliberalen Koalition für die kommende Legislaturperiode ihr Plazet erteilt. Im Anschluß kommentierte der designierte Ministerpräsident Rudolf Scharping zufrieden das eindeutige Votum seiner Parteifreunde aus Vorstand und Fraktion: Die Entscheidung für die FDP als Regierungspartner sei von der SPD „eigenständig und fair“ getroffen worden. Beide Parteien hätten bei den Verhandlungen ihre Identität wahren können. Auch der FDP-Landesvorsitzende Rainer Brüderle sprach von „sorgfältigen und absolut fairen Verhandlungen“. Brüderle wird der alte und neue Wirtschaftsminister des Landes sein und stellvertretender Ministerpräsident. Im Bundesrat wird allerdings nicht Brüderle, sondern der SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Gerster sitzen. Wie das Land im Bundesrat abstimmen wird, wurde von den neuen Partnern koalitionsvertraglich festgelegt. Bei unterschiedlichen Auffassungen wird sich Rheinland-Pfalz nach dem Vorbild der sozialliberalen Koalition in Hamburg der Stimme enthalten. Bereits geeinigt haben sie sich über ihr Votum zur Abschaffung der Gewerbekapital- und Vermögenssteuer: im Bundesrat wird Rehinland-Pfalz dagegen stimmen.

Gestern legte Scharping auch offen, warum sich die SPD letztendlich für die Freien Demokraten entschieden habe. Mit der FDP, so Scharping, hätten „verläßlichere Verhandlungsergebnisse“ erzielt werden können — und die FDP biete politische Kontinuität.

Daß Scharping dabei inhaltlich zurückstecken mußte, warfen nicht nur die Grünen dem künftigen Ministerpräsidenten vor. Auch von Gewerkschaftsseite und vor allem von den Jungsozialisten kam gestern geharnischte Kritik an der Koalitionsentscheidung Scharpings. So habe sich die SPD vor den Landtagswahlen klar gegen eine finanzielle Beteiligung des Landes beim Bau von Bundesstraßen ausgesprochen, aber die halbe Million DM, die Brüderle drei Wochen vor der Wahl noch für den Straßenbau ausgegeben habe, im nachhinein toleriert.

Und auch in Sachen AKW Mühlheim-Kärlich herrsche nach den Koalitionsverhandlungen mit der FDP „Unklarheit“. Die auf's rot-grüne Pferd setzenden Kritiker werfen Scharping vor, die noch von der alten Landesregierung erlassene erste Teilerrichtungsgenehmigung nicht wie geplant zurückziehen zu wollen — mit Rücksicht auf den Koalitionspartner, der an den Skandalen um Mühlheim-Kärlich federführend beteiligt gewesen sei. Statt dessen verabredeten die neuen Koalitionspartner eine „Sicherheitsüberprüfung“ des AKWs. Scharping versicherte gestern, daß die Landesregierung „alles nach Recht und Gesetz Mögliche“ tun werde, um eine Wiederinbetriebnahme des widerrechtlich errichteten Atommeilers zu verhindern.

Noch heute abend werden Sonderparteitage von SPD und FDP abschließend die Koalitionsvereinbarungen verabschieden und den bereits feststehenden Ministerinnen und Ministern den basisdemokratischen Segen erteilen. Das „Clockwork Orange“ in Mainz — die rot- gelbe Koalition — tickt bereits heftig.

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