INTERVIEW
: Reaktorhersteller: Die SPD muß ihre Rationalität wiederfinden

■ Adolf Hüttl, Leiter des Geschäftsgebiets nukleare Energieerzeugung beim Reaktorbauer Siemens/KWU, zur aktuellen Atomenergie-Debatte

taz: Herr Hüttl, mit welchen Gefühlen verfolgen Sie als Reaktorhersteller die ungewöhnliche Strategie der Stromwirtschaft, die Entscheidung über den Neubau oder Ersatz von Atomkraftwerken vom Jawort einer atomkritischen Opposition abhängig zu machen?

Adolf Hüttl: Ich verfolge dieses Vorgehen kritisch, aber auch mit Verständnis. Die großen energiewirtschaftlichen Investitionen lassen sich eben nicht mit der Zustimmung einer gerade regierenden Mehrheit allein, sondern nur mit dem Einverständnis aller staatstragenden Parteien durchhalten. Wenn es dieses gemeinsame Grundverständnis nicht gibt, ist es sehr schwierig, eine zuverlässige Energiepolitik zu gestalten. Deshalb habe ich Verständnis für die Diskussion, mit der nach dem Ausstieg der SPD aus diesem Konsens seit Tschernobyl nun wieder um eine kooperative Haltung dieser Partei geworben wird. Wir brauchen sie, wenn wir vernünftig weiterkommen wollen.

Das ändert wenig daran, daß dieses Ansinnen der Stromwirtschaft für Sie als Reaktorbauer auch bedrohlich ist. Bisher gibt es in der SPD wenig Anzeichen dafür, daß sie ihre Nach-Tschernobyl-Position grundlegend revidiert. Leute wie der IGBE-Chef Berger nehmen bisher eine Außenseiterposition ein.

Das darf uns nicht hindern, alles zu tun, die SPD wieder auf weniger opportunistische, nach Wählerverhalten schielende Haltung zurückzuführen und sie dazu zu bringen, eine dieser Problematik angemessene Rationalität zu zeigen. Die SPD verhält sich auf diesem Sektor seit 1986 mehr emotional.

Was passiert denn, wenn die SPD auf ihrer Position besteht? Aus der Sicht von KWU liegt doch die Gefahr auf der Hand, daß die Stromwirtschaft wie in Wackersdorf, Kalkar oder Hamm irgendwann sagt: Nun gut, dann stellen wir eben andere Kraftwerke in die Gegend.

Wir als Siemens/KWU haben damit kein Problem, weil wir nicht nur Kernkraftwerke bauen, sondern auch alle anderen Kraftwerke. Bei uns können Sie vom Wasserkraftwerk bis zur Solarzellenanlage alles kaufen. Wir haben lediglich als KWU auf dem Spezialsektor Nuklearenergie ein „Problem“. Aber dieses Problem, wenn es denn zu einem würde, hat es auch schon bis vor einem Jahr gegeben. Nur durch die Wiedervereinigung ist ja überhaupt die kurzfristige Chance auf uns zugekommen, jetzt plötzlich schon vor Mitte der neunziger Jahre ein oder zwei neue Blöcke zu bauen. Wir hatten uns zuvor darauf eingerichtet, bis zum Ersatz oder notwendigen Zubau in der alten Bundesrepublik den Service für die im Betrieb befindlichen Kernkraftwerke zu machen, bis hin zur Nachrüstung. Gleichzeitig wollten wir uns im Ausland um neue Projekte bemühen. Aber darum bemühen wir uns in jedem Fall.

Zur SPD. Wenn sich Ihre Hoffnungen erfüllen und in die Reihen der SPDler Bewegung kommt, dann sicher nur in Form einer Modifikation des Nürnberger Ausstiegsbeschlusses. Wie sähe ein Kompromiß aus?

Es gibt nicht nur Hoffnungen, sondern auch Zwänge, sich diesem Problem wieder rational statt emotional zu widmen. Ein Kompromiß könnte beispielsweise so aussehen, daß man neben dem Weiterbau von Kernkraftwerken noch mehr und noch klarere Vereinbarungen zur Förderung der regenerativen Energien Wind und Sonne trifft als bisher. Es gibt ein weitverbreitetes Wunschdenken, daß der Anteil dieser Energien sehr viel größer sein müßte als von den Elektrizitätsunternehmen, aber auch von uns als Fachfirma, für möglich gehalten wird. Warum sollte man nicht noch einiges mehr für den breiteren Einsatz dieser Techniken tun, auch wenn dabei nur rauskommt, was wir immer schon gesagt haben: daß nämlich ein paar Prozent an der gesamten Stromerzeugung in unseren Breiten nicht überschritten werden. Dann hätten wir es wenigstens mal verbrieft und würden nicht weiter mit Forderungen konfrontiert, die zu Lasten einer rationalen und sicheren Energietechnik gehen.

Na ja. Was anderes: Verschiedene Äußerungen aus den Reihen der SPD deuten darauf hin, daß man eher bereit wäre, alte Reaktoren länger laufen zu lassen, als neue zu bauen. Wie lange kann die heutige Generation betrieben werden?

Ich habe selbst fast ein Jahrzehnt als Ingenieur an der Auslegung zentraler, Lebensdauer bestimmender Komponenten wie den Reaktordruckbehältern mitgearbeitet. Die Kraftwerke werden schon seit jeher in ihren Großkomponenten, also denen, die man kaum austauschen wollte, auf Betriebszeiten von vierzig Jahren berechnet. Da heute viel weniger sogenannte Lastwechsel, also vor allem Anfahren und Abfahren, anfallen, als ursprünglich angenommen, dürften in vielen Fällen auch mehr als vierzig Jahre erreichbar sein. Praktisch alle Komponenten — selbst die Reaktordruckbehälter — können heute ausgetauscht werden, wenn man das will. Wenn ich in Deutschland feststelle, ich kriege keine neuen Standorte, dann heißt meine Devise: Erneuern durch Austauschen in den bestehenden Kraftwerken. Die Leittechnik beispielsweise wird man in Zukunft vermutlich alle zwanzig Jahre auswechseln, einfach weil sie von Generation zu Generation besser, wartungs- und bedienungsfreundlicher wird. Das steht mit der ursprünglich projektierten Lebensdauer des Kraftwerks gar nicht mehr in Zusammenhang.

Sie meinen, die Grenze zwischen Nachrüstung und Neubau ist längst verwischt?

Also ich baue nach vierzig Jahren trotzdem lieber neue Kernkraftwerke, weil ich da keinerlei Montage unter Strahlenbelastungen habe, weil ich die neueste Technik unter ihren besten Randbedingungen einbauen kann. Nachrüstung muß sich dagegen immer in Strukturen einpassen. Für die SPD mag es psychologisch einfacher sein, sich mit einem verlängerten Betrieb bestehender Anlagen anzufreunden als mit einem Neubau. Aber technisch ist das wenig überzeugend. Ich mache die alten Anlagen nicht schlecht. Aber wenn ich neu baue, bin ich sicher, daß ich ein AKW mit der größtmöglichen Sicherheit habe.

Zum Abschluß: Ihre Branche lebt unter der, sagen wir, unwahrscheinlichen, aber dennoch vorhandenen Drohung, daß sich Tschernobyl so ähnlich oder anders wiederholt. Ist Siemens/KWU auf diesen Fall, der vermutlich das Aus der Atomenergie-Nutzung hier wäre, vorbereitet?

Natürlich nicht, weil ein solcher Unfall bei uns in Deutschland völlig unrealistisch ist. Wir wissen, daß unsere Kernkraftwerke von einer solch hohen Sicherheit sind, daß bei Ausfall eines Systems das zweite eingreift oder das dritte oder das vierte. Am wichtigsten: Das Ganze funktioniert unabhängig von möglichen Fehlern des Menschen. Der Mensch ist bei unseren Kernkraftwerken in Störfallsituationen lange Zeit überhaupt nicht gefordert. Deshalb ist die Kernenergienutzung verantwortbar, jedenfalls bei uns und überall da, wo ein vergleichbares Sicherheitsniveau verwirklicht ist. Mit Osteuropa müssen wir zu einer Sicherheitspartnerschaft kommen, die dort zu einer raschen und ausreichenden Verbesserung der Reaktorsicherheit führt. Interview: Gerd Rosenkranz