Realkapitalistische Nullhonorare

Berlin (taz) — In einem großen Entsorgungsakt sollen die stalinistischen Denkmäler von ihren Paradeplätzen entfernt und am Stadtrand in einem „Panoptikum realsozialistischer Verirrungen“ wiederaufgestellt werden. Natürlich wartet dann, bei leeren öffentlichen Kassen, an den öffentlichen Plätzen: gähnende Leere. Hier sollen, nach einem Vorschlag des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Berliner Abgeordnetenhaus, Klaus Landowsky, Künstler einspringen. Und zwar denkt Landowsky dabei an Künstler, denen das SED-Regime in den letzten vierzig Jahren stalinistisch auf die Füßen getreten ist. Ihnen wird angeboten, ihre Arbeiten honorarfrei zur Verfügung zu stellen. Auf den ersten Blick könnte man das als wirtschaftliche Maßnahme deuten. Dann müßte die öffentliche Hand „nur noch“ für die Umsetzung (plus Pflege plus Schutz) der Lenins aufkommen, sowie für die Material-, Aufstellungs- und Unterhaltskosten der neuen Skulpturen. Sehr wohl könnte sich die honorarfreie Gestaltung der Plätze als realkapitalistischer Flop herausstellen. Denn bei der Vergabe von Aufträgen für Kunst im Stadtraum werden zwar Baukosten und Honorar zunächst getrennt veranschlagt; der Vertrag mit dem Künstler jedoch wird pauschal abgeschlossen. Wenn er sich verrechnet oder ihm ein wertvoller Stein zerbricht, zahlt er selbst. Zieht man das Honorar ab, müßte die öffentliche Hand das Materialrisiko übernehmen. Daß die Nachforderungen die Höhe eines Honorars (ca. 25% der Materialkosten) bald übersteigen würden, kann als sicher gelten.

Also kann Landowsky den Vorschlag nur als besondere Ehre gemeint haben. Wer in der DDR verfolgt wurde, soll jetzt nicht durch Westgeld kompromittiert werden: politische Häftlinge fegen umsonst die Straßen, Biermann zahlt seine CBS-Plattenhonorare in einen Autorenpool, und die neuen Beamten verzichten auf ihre Gehälter, um ihre Nicht-Verstrickung in das Regime zu beweisen. Es gibt Ehrendoktoren in Massen, aber keine Doktoren mehr. Wer sich entschädigen läßt, ist Kommunist. Ulf Erdmann Ziegler