Bevor er zum Sündenbock gemacht wird, geht er von Bord

■ So, wie die EG-Politiker sie sich wünschen, ist die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion nicht zu haben — jedenfalls nicht mit Karl Otto Pöhl

„Die abschließende Entscheidung liegt nicht in seiner Zuständigkeit“, formulierte Giscard d'Estaing vor drei Wochen kühl. Auf dem Weg zur europäischen Union sei zwar das Urteil von Fachleuten und „besonders das des Bundesbankpräsidenten“ notwendig. Aber die Integration sei eine politische Angelegenheit, nicht eine der Experten. Das Wort des französischen Altpräsidenten hat Gewicht — nicht etwa, weil er der Fraktionsvorsitzende der EG-Liberalen ist oder gelegentlich für hohe Euro-Ämter im Gespräch war. Giscard — und damit steht er nicht allein — beharrt auf dem Primat der Politik. Unmittelbar zuvor hatte Pöhl vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuß des Parlaments vor einer „europaweiten Neuauflage der deutsch- deutschen Währungskatastrophe“ gewarnt.

Mit der Ankündigung seines Rücktritts nun handelt Pöhl wie einer der Devisenhändler, die stets an seinen Lippen hingen: Nicht so sehr der wirtschaftiche Ist-Zustand bestimmt sein Handeln, sondern die Erwartungen, die Vorwegnahme der Zukunft. Er hat sich einerseits den frühest-, andererseits den letztmöglichen Zeitpunkt ausgesucht, sich aus dem Amt zu verabschieden. Den letztmöglichen, weil nun unter Experten klar ist, daß die Wirtschafts- und Währungsunion so, wie sie einst konzipiert war, nicht zu machen ist. Den letztmöglichen, weil deswegen tatsächlich die Politiker entscheiden werden, wie es weitergeht.

Denn unabhängig davon, ob sie den Bundesbank-Primat der Geldwertstabilität teilen oder nicht, ist unter den Experten nach vierjähriger theoretischer Diskussion und der deutschen Lektion klar: Wenn es dereinst eine EG-Währungsunion geben sollte, dann nur, wenn sich die Kompetenzen der künftigen Europäischen Zentralbank nicht wesentlich von denen der Bundesbank unterscheiden: Ungebundenheit von Weisungen und statt dessen ein breiter politischer Konsens über das Stabilitätsziel. Wenn es deswegen erforderlich ist, daß zuvor die Geld-, Zins- und Haushaltspolitiken der zwölf Mitgliedsländer angepaßt werden, ist der bisherige Zeitplan der WWU, der den Übergang von der Kooperation zur Koordination zwischen den Notenbanken ab 1994 vorsieht, nicht zu halten. Wenn dieser riesige Anpassungsbedarf aber nicht zu leisten ist, bliebe als Ausweg nur die „kleine“ Währungsunion mit der BRD, Frankreich, den Beneluxländern und Dänemark. Doch so schön sich das Einvernehmen der französischen Regierung mit der Unabhängigkeit und der Stabilität anhört — es ist dennoch kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. Denn in der politischen Kultur Frankreichs ist keine breite Bewegung zu erkennen, die bereit wäre, die Währungspolitik und damit die Zentralbank in die Unabhängigkeit nach Frankfurter Vorbild zu entlassen. Kein Wunder also, daß Pöhl trotz der verbalen Einvernehmlichkeiten zwischen Theo Waigel und Pierre Bérégovoy zutiefst mißtrauisch blieb.

So zeichnet sich also ein Fiasko ab: Die zwölf Volkswirtschaften sind nicht unter einen Hut zu bringen — und Pöhl müßte weiter bremsen. Die „kleine“ Währungsunion stößt zum einen auf Vorbehalte der „Ausgeschlossenen“, entspricht zum anderen nicht den bisher formulierten Vorgaben für die WWU. Und wegen seiner Einwände gegen die französische Währungspolitik wäre Pöhl wiederum der Sündenbock.

Damit nicht genug. Zweifellos ist der Ausbau des Europäischen Währungssystems (EWS), das dereinst in das Euro-Zentralbanksystem münden soll und von Pöhl maßgeblich mitgestaltet wurde, erfolgreich gewesen; so nimmt die spanische Pesete mittlerweile ebenso am EWS teil wie das britische Pfund, ist allgemein mehr Ruhe in die Wechselkurse der EG-Währungen untereinander gekommen. Viele der einzelnen Ausbauschritte geschahen im Hinblick auf die WWU. Würde Pöhl nun durchblicken lassen, daß weder in wirtschaftlicher noch in politischer Hinsicht ein Durchbruch zu erzielen ist, würde er auch dem EWS den Drive nehmen. Nur wenig spricht dann auch gegen die Vermutung, die europäische Integration insgesamt könnte ins Stocken geraten (siehe auch taz vom 11. 05.).

Kritiker des EWS könnten sich darob freuen, denn das System lädt ausgerechnet den schwachen Mitgliedsländern die stärksten Anpassungsleistungen auf, selbst wenn sie mit dem Anlaß überhaupt nichts zu tun haben. Wächst etwa in New York oder Tokio die spekulative Nachfrage nach D-Mark, müssen die anderen EWS-Währungen, um den stabilen Wechselkurs zur D-Mark zu garantieren, diese Nachfrage künstlich herstellen — in der Regel durch höhere Zinsen. Damit aber gefährden sie ihre eigene Konjunktur, wodurch die deutsche Exportmaschine noch schneller läuft — was wiederum in der BRD Arbeitsplätze schafft, aber in den anderen EG-Ländern vernichtet. Durch die deutsch-deutsche Währungsunion hat sich dies verändert, die Exportüberschüsse gehen zurück, und die BRD ist nicht mehr der handelspolitische Störenfried Nummer Eins in Europa. Nun war zwar Pöhl bekanntermaßen gegen diese Währungsunion. Wenn er jetzt zurücktritt, geschieht dies wenigstens zu einem Zeitpunkt, an dem die BRD als Konjunkturlokomotive Europas gelten darf. Dietmar Bartz