Beuys überm Sofa

■ Die Graphothek hat 30 neue Bilder und Plastiken / Bald im Keller der Weserburg

Wo liegen 30 Bilder und Plastiken im Wert von rund 20.000 Mark und von namhaften Bremer und internationalen KünstlerInnen auf der Erde herum? In einer Schule in Horn-Lehe. In der Schule an der Curiestraße ist zur Zeit die Graphothek geparkt — bis ihre neuen Räume unter dem Museum Weserburg im Herbst bezugsfertig sind.

Diese Woche gab es wie in jedem Jahr wieder eine Jurysitzung für den Ankauf neuer Kunst, und die wartet jetzt darauf, fotografiert, mit Informationen über KünstlerIn und Technik archiviert, in Alurahmen gesteckt und in Regale gestellt zu werden.

Die KunstliebhaberInnen finden ihre Graphothek auch an dem neuen Ort. Reger Publikumsverkehr herrscht an einem normalen Freitag. Die meisten sind StammkundInnen, manche seit Eröffnung der Graphothek 1975. Damals ging der Verleih noch per Foto über die Bibliotheken. Erst seit 1980 lassen sich die Bilder direkt vor Ort begutachten und für die Bibliotheksgebühr von 12 Mark jährlichin in die eigenen vier Wände entführen.

Zu der Jury gehören der Museums-Chef Thomas Deecke, Martha Höhl von der Stadtbibliothek, Dieter Opper vom Senator für Kunst, Gerd Peter Patz von der Graphothek, sowie VertreterInnen des Berufverbandes Bildender Künstler, von der Gesellschaft für Aktuelle Kunst und der Künstler Wolfgang Heinke.

Da ist beispielsweise ein Bild von Antonio Scaccabarozzi, zuletzt in der Galerie Rabus zu sehen, eine himmelblau übermalte Zeitung. Von vier Barkenhoff- StipendiatInnen ist eine Ute Heuer, deren Aquarell wie eine in der Teilung befindliche Zelle aussieht. Jochen Twelker, auch Barkenhoff-Stipendiat, ist mit einem Linolschnitt dabei, dessen blau- gelb-rote Musterlandschaft eine fliehende Perspektive hat. Eine Alabasterskulptur von Rosa Jaisly verrät, daß sie, bekannt für ihre organisch-runden Embryo- Formen, nun eckiger und robuster geworden ist. Sie fand, wie viele andere Bremer KünsterInnen, zum ersten Mal bei der Jury Beachtung. Dieter Roth ist mit zwei sehr unterschiedlichen Werken vertreten, von denen eins filligrane blauweise Figuren, das andere schwere, satte Farbflächen trägt. Von Gunther Gerlach, bekannt für große Formate in der Plastik, gibt es eine natürlich überdimensionale Radierung. Die Mappen bringen weiterhin zum Vorschein: ein Aquarell namens Fossil von Janet Fruchtmann, auf der ein großer blauer Käfer seine Jacke öffnet und eine Fotoserie von Christine Meise, die eine gestreifte Geschichte über einen Tisch er zählt. Bei Veronika Dobers zählt ein haltloses Menschlein die Zeit mit Strichen. Das Bild von Roland Eckelt braucht Lichteinfall von beiden Seiten für seine atomiumförmigen Einschnitte in bemaltem Papier. Das Punktemuster auf dem sphärischen Objekt von Adolf Luther entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Spiegelung. Die Ungenannten mögen verzeihen.

Zur Zeit stehen die rund 3.000 Werke von 1.000 KünstlerInnen wie Bücher in Regalen und in Stapeln an Wände gelehnt. Das ist aber nicht nur Behelf, sondern hat auch seinen Sinn. Gerd Peter Patz, von Anfang an Chef der Graphothek: „Die Präsentation ist zwar miserabel, aber die Kunst verliert auf diese Weise ihren musealen Charakter und fordert zum Wühlen auf.“ Kunst zum Anfassen eben, im wahrsten Sinne des Wortes. Die stattliche Sammmlung moderner Kunst seit 1960 — besonders stolz ist Patz auf die große Auswahl bei Pop Art und Fotorealismus — wird in der Weserburg ein Kellerdasein unter Kunstlicht fristen müssen. Beate Ramm