Der neue „Tatort“-Kommissar

■ Günther Lamprecht in „Tödliche Vergangenheit“, Pfingstmontag ARD 20.15 Uhr

Es ist schon seltsam, wie lange die Geschichte braucht, bis sie den Fernsehspiel-Alltag einholt. Daß die Lindenstraßen-Bewohner mittlerweile hin und wieder Ossi-Witze erzählen und daß Götz George immerhin schonmal mit dem Polizeiruf 110 zusammengearbeitet hat, ist da schon das Äußerste.

Pfingstmontag nun steht uns Tödliche Vergangenheit ins Haus: ein waschechter Ost-West-Tatort mit Fahrten von der Berliner Friedrichstraße (West) über die Friedrichstraße (Ost) zum Alex, mit Schauspielern aus beiden Hälften Deutschlands, Debatten über Aufbau und Fall der Mauer, Republikflucht und Stasi. Daß der neue SFB-Kommissar namens Franz Markowitz dabei ausgerechnet von Günter Lamprecht gespielt wird, dürfte kein Zufall sein. Bereits beim allerersten Tatort vor 20 Jahren (Taxi nach Leipzig) spielte er einen Volkspolizisten. Diesmal liegt seine Dienststelle im Westteil Berlins: Kommissar Markowitz amtiert in Kreuzberg.

Ungewöhnlich genug ist sein Fall ohnehin: es geht um den Mord an seiner eigenen Tochter. Zwar wird Markowitz — wegen persönlicher Betroffenheit — von den Ermittlungen freigestellt, aber natürlich recherchiert er trotzdem.

Die Spur führt auf den Prenzlauer Berg, in die Eckkneipe seiner Ex- Frau Eva-Maria (Karin Baal). Die hat er damals, samt Kleinstkind, schnöde verlassen, Richtung Westen versteht sich. Im Osten war er Schieber, im Westen wird er Kripo- Beamter. Eine deutsch-deutsche Karriere.

Die Figur des Franz Markowitz ist übrigens eine Erfindung seines Darstellers. Ausprobiert und dem TV- Publikum erstmals vorgestellt hat er die Rolle bereits vor über einem Jahr, in Peter Keglevics Krimi Dort oben bei diesen Leuten. Damals geriet der bullige, wortkarge Kripo-Mann mit den für einen Kommissar eigentlich viel zu kleinen Augen auf dem Weg in den Abspeckurlaub in ein Kärntner Bergnest samt mysteriösem Todesfall und noch schweigsameren Dorfbewohnern. Jetzt, in Tödliche Vergangenheit (Regie: Marianne Lüdcke), hat Lamprecht seinen Markowitz als neuen SFB-Tatort- Kriminalen zusätzlich mit einer kompletten Biographie ausgestattet, die seiner eigenen nicht unähnlich ist.

Auch Lamprecht stammt aus dem Miljöh, sprich: Berlin-Mitte, schlug sich nach dem Krieg auf dem Schwarzmarkt durch und machte erst später im Westen Karriere als Theater- und Filmschauspieler.

Darüber hinaus hat er sich alle Mühe gegeben, den neuen Berliner Kommissar von seinem noblen Vorgänger Heinz Drache so deutlich wie irgend möglich abzusetzen: Markowitz kann nicht Auto fahren, rasiert sich selten, vergißt seine Dienstpistole zu Hause, heult hemmungslos vor Schmerz um seine Tochter, berlinert, daß die Bayern ihre helle Freude haben werden, und spielt auch mal nachts in seiner Mietwohnung Trompete, bis die Nachbarn mit seinen Kollegen drohen. Eine Art in die Jahre gekommener Schimanski, mit dem kleinen Unterschied, daß der Kollege aus dem Ruhrpott seinerzeit am Ende immer gewann. Markowitz ist ein Kommissar, der gewissen Fällen einfach machtlos gegenüber steht.

Zwar sieht seine permanent in die Stirn gezogene Hutkrempe manchmal zu deutlich nach Image-Pflege aus und die Kneipen-Szenerie (Marke düster-verqualmt) bleibt pures Fernsehklischee wie auch die allzu geschauspielerten hysterischen Anfälle Dagmar Manzels und Karin Baals. Aber der Fall, der da verhandelt wird, ist aller Typisierung zum Trotz verblüffend aktuell. Seine Lösung erst recht. chp