Flöten und Pauken

Ian Hamilton Finlays „Ideologische Äußerungen“ im Frankfurter Kunstverein  ■ Von Axel Schmidt

Die retrospektive Ausstellung im Frankfurter Kunstverein ist die bislang umfassendste Präsentation des Werkes von Ian Hamilton Finlay außerhalb von Little Sparta: jener in über 20jähriger Arbeit geschaffenen Gartenanlage bei Dunsyre, die Finlay aufgrund seiner Agoraphobie, der Angst vor dem Reisen, nie verläßt. Dort, in der Einsamkeit des südschottischen Hochlandes, etwa 40 Kilometer von Edinburgh entfernt, haben der 1925 geborene Künstler und seine Frau Sue Finlay ein altes Bauerngehöft mit Umland in liebevoller Arbeit in ein Terrain mit Teichen und Tempeln, Baumgruppen und Skulpturen, Säulen und Inschriften verwandelt. Finlays Anfänge liegen, bevor er Little Sparta in der Tradition von Pope und Shenstone als klassizistischen Dichtergarten anlegte, in der konkreten Poesie, in der Verschränkung von bedeutungsvollen Wortspielen und ausgewählter Typographie.

Das Bild, die Erscheinungsweise der Schrift haben Finlay von Beginn an interessiert. Ausgehend von seinen eigenen Publikationen in der von ihm gegründeten „Wild Hawthorne Press“ (manifestartige Plakate, Postkarten, kurze Texte, Gedichte etc.) hat sich die Schrift dann vom Papier aus über andere Medien ausgebreitet, über Reliefs, geschnittene Schrifttafeln, Holz und als Neon- und Laufschrift. Und das nicht nur in Little Sparta: Unter Mithilfe von Künstlern und Handwerkern wurden und werden eine Vielzahl von Projekten an verschiedenen Orten in der Welt realisiert, die Finlay von seinem Anwesen aus konzipiert. Im Park der Kasseler documenta von 1987 stand eine Reihe von fünf Guillotinen in Originalgröße, die den „Blick auf den Tempel“ freigaben, einen kleinen klassizistischen Tempel im Auepark. Auf den Fallbeilen waren Sentenzen wie Robespierres „Die Herrschaft der Revolution ist die Diktatur der Freiheit gegen die Tyrannei“ und andere zu lesen. Auf einer gedruckten Arbeit von 1987, einem schematisiert dargestellten Fallbeil, steht „The Medium is the Message“. Zur „Prospect 1989“ lagen zwischen dem Frankfurter Kunstverein und der Kunsthalle Schirn in großen Steinblöcken, ein Wort pro Stein, „Die/ Ordnung/ der/ Gegenwart/ ist/ die/ Unordnung/ der/ Zukunft/ Saint-/ Just“. Die gedruckte englische Variante dieses Puzzles erschien 1983 mit der Anweisung, die Formen auszuschneiden und die Worte in die richtige Reihenfolge zu bringen.

Robespierre, Saint-Just, Marat, Danton usw. waren sich bei jedem Wort bewußt, daß sie mitgeschrieben und in das Pantheon der Geschichte eingehen werden. Mit diesem erhabenen Gestus treten Ideologien hinfort auf. Wie kein anderer zeitgenössischer Künstler hat Finlay sich mit der Französischen Revolution und ihren, wie Jean Starobinski sie nennt, „Emblemen der Vernunft“ beschäftigt, mit jenen „Bausteinen“ dieses symbolischen Diskurses, der einen entscheidenden Schritt der Geschichte zugleich verdeckt und enthüllt“. Der Weg zur Freiheit ging über die Guillotine, der ungeheure Terror trat schauspielerisch gepudert und mit Perücken auf, Sentenzen aus klassischer antiker Bildung auf den Lippen. Die Sprache der Revolutionäre, die, wie Paul Celan sie nannte, „kunstreichen Worte“ revolutionärer Rhetorik, die schon wie die Sprache der Nazis „todbringende Rede“ (Paul Celan) ist, hat Finlay eingehend studiert. Starobinski vergleicht diese Sprache in 1789 mit einem „schneidenden Metallfaden“, in Georg Büchners Dantons Tod gibt es eine ganze Reihe von Belegen für dieses Sprechen: Büchner brauchte da nur aus Revolutionshistorien zu zitieren.

In den Holzstil einer Axt in Little Sparta hat Finlay typographisch einbrennen lassen: „Barrère über Saint- Just: ,Er sprach wie eine Axt‘.“ Neben Robespierre ist Saint-Just der größte Lieferant von epigrammatischen Phrasen für die Nachwelt gewesen. In Little Sparta steht sein vergoldetes Haupt im Garten mit der Inschrift „Appolon Terroriste“ auf der Stirn.

Die großen Inszenierungen mit ihren pathetischen Worten, ihren Metaphern und Symbolen werden von Finlay allein aus ihrem Schwebezustand geholt, indem er sie ganz real an — oft sehr kleine — Gegenstände bindet. In dieser Greif- und Sichtbarkeit verlieren die Ideologien auf ironische Weise ihre Erhabenheit. Eine seiner Devisen — „Small is Quite Beautiful“ — findet sich auch im Rahmen von Finlays Arbeit The Third Reich Revisited als Inschrift auf der Reichskanzlei wieder.

Da Finlay selbst über einen reichen Fundus klassischer Bildung und Belesenheit verfügt, kann er es mit der Französischen Revolution auf eben dem Gebiete aufnehmen, auf das sie zurückgegriffen hatte. Das Verfahren, die Zukunft in einem Bruch mit dem Bestehenden neu zu entwerfen und dabei einen Rückgriff auf die römische Republik als einzigem geschichtlichen Vorbild vorzunehmen, verlieh ihr ambiguosen Charakter. Sprach- oder zeichentheoretisch betrachtet, ist die Revolution ein hochkomplexes, ja maniriertes Kunstprodukt. Zwar hat es in der Kunst selbst 1789 stilistisch keine Revolution gegeben, man hat sich lediglich ausgiebig der klassizistischen Formen bedient. Doch es fand eine Demokratisierung statt, eine Verbreitung und eine Zugänglichkeit der Kunst über ihre privilegierte Handhabung im Ancien régime hinaus. Das hat zu Karrieren wie etwa derjenigen des Revolutionsmalers Jacques-Louis David geführt. Finlay hat dem Rechnung getragen, indem er die Widmung auf Davids berühmtestem Gemälde, dem toten Marat in der Badewanne, umdrehte. Aus „Für Marat — David“ wurde „Für David — Marat“. David ist eigentlich derjenige, der sich bedanken muß. Davids Devise „Erfolg ist alles, der Weg, wie man dahin gelangt, ist gleichgültig“, hat diesen Freund Dantons und Robespierres und späteren Hofmaler Napoleons politische Umschwünge unbeschadet überstehen lassen. Damit zeigt sich — im kleinen zeitlichen Rahmen von ein paar Jahrzehnten —, wie gut sich klassizistische Formen über die Jahrhunderte zur Repräsentation der Macht entwickeln lassen: von der Demokratie zur Diktatur. Diesem Interesse folgend hat Finlay, Kriegsteilnehmer im Zweiten Weltkrieg auf deutschem Boden, mit Albert Speer über den Nazi-Klassizismus korrespondiert.

Während der Klassizismus der Revolutionäre als Travestie der Antike auftritt, und der Klassizismus generell (bis hin zum Weißen Haus, wenn man will) sehr auf seine Fassade bedacht ist, die das wirkliche Spiel der Kräfte und Antriebe kaschieren will, bringt Finlay die Wahrheit auf die Fassade: Oft sind das die Waffen und der Tod. Er stellt die ideologische Beanspruchung und Aufnahme klassizistischer Formen fest, wenn er sagt: „Neoklassizismus ist Klassizismus, der seinen Wehrdienst ableistet“, „Klassizismus schreitet, Neoklassizismus marschiert“ oder „Klassizismus und Neoklassizismus: Flöten und Pauken“. Doch ist die Militarisierung der Ästhetik für ihn keine Dekadenzerscheinung, kein Verlust einer ursprünglichen Unschuld des Schönen. Wenn er den Gartentempel in Little Sparta dem griechischen blitzeschleudernden Gott Apollo widmet: „To Apollo — His Music — His Missiles — His Muses“, so, weil die Musen und die Waffen immer schon zusammen aufgetreten sind.

In Anbetracht seiner Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution sollte Finlay auch einen künstlerischen Beitrag zu deren 200-Jahr-Feier leisten. Die Realisation des Projekts des französischen Staatsauftrags zu einem „Jardin révolutionnaire“ in Versailles scheiterte jedoch im Eklat. In einer Pressekampagne wurde Finlay faschistisches Sympathisantentum und antisemitisches Gedankengut angelastet. Wenn man erfährt, daß ein Künstler SS-Runen in seinem Werk verwendet, sollte das jedoch nicht zu voreiligen Schlußfolgerungen führen. Natürlich hat Finlay nicht die Klarheit und Eindeutigkeit zu seinem Beruf gemacht.

Er ist aber weder Jakobiner noch Nazi. Seine intellektuelle Durchdringung der Französischen Revolution ist eine Beschäftigung mit ihren „Emblemen“, ihrem „symbolischen Diskurs“. Dieses Wissen wird, ebenso was die Verwendung von Militaria und SS-Runen anbelangt, differenziert eingesetzt.

Eine seiner Skulpturen in Little Sparta trägt die Inschrift „Et in Arcadia ego/ Auch ich war in Arkadien“. Doch wo die Hirten bei Guercino einen großen Schädel auf einem Altar, bei Poussin einen Sarkophag entdecken, finden sie bei Finlay einen Panzer der SS auf einem mit einem Totenkopf versehenen Sockel.

Die eingehende und unausgesetzte Auseinandersetzung mit dem Klassizismus, die analysierende Auseinandersetzung mit der totalitären Inanspruchnahme seiner Formen und ihre subversive, zitathafte Handhabung kennzeichnen Finlays Werk. Der Miteinbezug von Militaria (Zementmodelle von Flugzeugträgern, U-Booten und Kampfflugzeugen) in sein Werk hat Befremden ausgelöst, ohne daß man die verhaltene Ironie darin wahrnahm, daß diese Gegenstände im Winter zum Teil auch als Vogelfutterplätze benutzt werden.

Schon vor Jahren ließ Finlay im Londoner Battersea Park eine Oerlikon-Kanone als moderne Skulptur aufstellen. Er akzeptiert keinen unabhängigen, ausgegrenzten ästhetischen Bereich. Das ist das eigentliche Skandalon seines Werks. In der Kritik literarischer Idyllen von Voß, in denen die Personen Kaffee mit Zucker trinken, hat Hegel seinerzeit auf „mannigfache Vermittlungen des Handels, der Fabriken, überhaupt der modernen Industrie“ hingewiesen und damit die Verschränkung von, um mit heutigen Begriffen zu sprechen, Erster und Dritter Welt aufgezeigt. Im selben Sinne stellt auch Finlay die — ein etwas außer Mode gekommenes Wort — Dialektik von Idealem und Wirklichkeit, von Kunst und Politik heraus. „Die ,erhabenen, großzügigen Ideale‘ — Natur, Kultur, Freiheit, Brüderlichkeit... —, auf denen unsere politischen, moralischen und ästhetischen Werturteile beruhen, werden von Finlay unablässig aufgespürt und auf ihre Schwächen hin untersucht. Jedem der Werturteile weist er nach, daß sie mit ihrem absoluten Gegenteil im Bunde stehen, daß sie sich — oft unwissentlich — zu einer Welt bekennen, die sie ja gerade ablehnen: Terror, Knechtschaft, Krieg... und daß umgekehrt auch diese negativen Werte Spuren einer verlorenen oder zumindest entstellten Idealität tragen...“ (B. Marcadé, 'Parkett‘ Nr.14)

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