Genthins Zukunft nach dem Fettfilm

■ Altlasten aus der Fettproduktion/ Die Abwässer des Waschmittelwerks werden biologisch geklärt

Genthin (taz) — Beim Blick auf die gelblichen Fluten, die nach heftigen Niederschlägen Teile des Werksgeländes unter Wasser gesetzt haben, werden unwillkürlich Kindheitserinnerungen wach: So ähnlich sieht Lebertran aus.

Neben Waschmitteln hat das Waschmittelwerk in Genthin lange auch industrielle Fettsäuren produziert. Die Fettproduktion hat dem Werk eine gewaltige Altlast beschert, die jetzt zum teuren Stolperstein für die Sanierung werden könnte. Rein rechtlich betrachtet trägt nämlich allein die Henkel Genthin GmbH die Verantwortung für die Umweltsauerei, auch wenn diese ein Kind der planwirtschaftlichen Produktion ist.

Bevor die Reichsbahn die Industriefette aus dem Werk zu den Abnehmern bringen konnte, mußten sie früher auf dem Werksgelände in großen Tanks zwischengelagert werden. Daß diese Tanks zum Teil leck sind, oder — wie ein Arbeiter verrät — auch schon platzten, hat die alten Werksleiter offensichtlich wenig gekümmert. Zwar liegt um die Tanks herum ein Drainagesystem, um die stinkende Masse aufzufangen, doch sind die Auffangbecken für den Inhalt eines geborstenen Tanks viel zu klein. Die Fette konnten sich weiträumig auf dem Werksgelände verteilen. Dort rotten sie augenscheinlich und der Nase nach vor sich hin.

Bei all diesen Sauereien hat die Genthiner Bevölkerung noch Glück mit der Geologie gehabt. Die Tonpfanne unter dem Werksgelände führt nach Regenfällen zwar regelmäßig zu kleinen Überschwemmungen auf dem Fabrikareal. Sie verhinderte aber auch eine Verseuchung des örtlichen Grundwassers durch die Fettsäuren.

Der neue Geschäftsführer Ulrich Jahnke räumt das Altlastenproblem ein. Derzeit werde mit dem Land Sachsen-Anhalt über die Entsorgung verhandelt. Aber auch wenn die Landesregierung das Problem dem Werk allein überlasse — Henkel bleibe in Genthin.

Frommes Wunschdenken und übertriebener Optimismus — es ist derzeit schwer vorstellbar, wie das im Vergleich kleine Werk die finanziellen Belastungen aus der Altlast verdauen könnte.

Andererseits: Die Zukunft des Werkes — die Waschmittelproduktion — ist von den Entsorgungsproblemen nicht mehr betroffen. 1978 hat der volkseigene Betrieb eine biologische Abwasseranlage installiert, die mit Hilfe von selbstgezüchteten Bakterien die waschaktiven Substanzen in den Abwässern weitgehend abbaut.

Jochen Diez, der für das Funktionieren der Anlage verantwortlich ist, erklärt, daß der Ausstoß dieser der Wasserflora feindlichen Stoffe auf 1 Milligramm pro Kubikmeter Wasser verringert werden konnte. Als anschaulicher Vergleich bietet er den Ausstoß solcher Chemikalien im städtischen Klärwerk an: 20 bis 30 Milligramm verbleiben im „gereinigten“ Wasser. Wie zum Beweis für Diez' rosiges Bild wachsen nur 50 Meter vom Abwasserrohr des Werks im Fluß die Seerosen. Die empfindlichen Pflanzen gelten als Indiz für ein sauberes Gewässer.

Viel abzubauen haben die hilfreichen Bakterien momentan ohnehin nicht. In den großen Fabrikhallen verlieren sich die wenigen Beschäftigten bei der Herstellung und Verpackung der Waschmittel. Die meisten von ihnen haben offenbar mehr Zeit als Arbeit, ihr Gang ist langsam und von der manchmal hektischen Betriebsamkeit in westdeutschen Betrieben ist nichts zu spüren.

Das hohe Durchschnittsalter der Arbeitenden fällt auf. Die Folge eines sozialen Gedankens, der in die Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung einfloß. Die Älteren sollten nach Möglichkeit von Kündigungen verschont bleiben. Daß solche Beschäftigungspolitik aber auch zu einer Überalterung der Belegschaft führt und damit die Abwanderung der Jüngeren aus dem Industriestandort Genthin eher noch antreibt, haben die neuen Manager inzwischen erkannt.

Eines ist abzusehen. Der Kampf um die Zukunft der Waschmittelfabrik Genthins verlangt nicht nur Standvermögen, guten Willen und eine Portion Glück — er wird bei Entlassenen und auch Beschäftigten auch Narben hinterlassen.