Zypern wählt — aber andere entscheiden

Vor dem Hintergrund einer neuen USA-Initiative zur Lösung des Zypern-Konflikts werden die Parlamentswahlen am kommenden Sonntag zum Referendum über die Bereitschaft der Insel-Griechen zu weiteren Kompromissen mit der Türkei  ■ Aus Nikosia Klaus Hillebrand

100 Meter von der Demarkationslinie zum türkisch besetzten Teil entfernt, sind in Nikosia nicht die Teilung Zyperns oder die Wahlen Tagesgespräch, sondern das Wetter. Schon den zweiten Winter hat es kaum geregnet, und die Wasserreservoirs der Insel gehen rapide zur Neige. „Spart Wasser!“ lautet die Parole in der Presse. Die Demarkationslinie aus Stacheldraht, Sandsäcken und Blechtonnen ist bald 17 Jahre alt. Die Existenz dieses Monsters, das die Altstadt Nikosias wie die ganze Insel in zwei Hälften teilt, ist Legende. Ihre Überwindung, eine Wiedervereinigung Zyperns, erscheint vielen griechischen Zyprioten nur noch ein frommer Wunsch. Aber Wassersperren schon im Frühjahr? So unüberwindbar und fern das eine Problem scheint, so brennend und nah steht das andere auf der Tagesordnung. Die Sonne knallt bei über 30 Grad im Schatten vom Himmel. Die paar hundert Meter bis zum Minarett der Selimye-Moschee sind unerreichbar weit, weit weg wie die Wiedervereinigung. Der trockene Wasserhahn an 36 von 48 Stunden ist jetzt wichtiger.

Dabei erscheint just zu den Parlamentswahlen am 19.Mai wieder einmal ein Licht am Ende des Tunnels. Zyperns Präsident Georgios Vassiliou hatt oft genug darauf hingewiesen, daß der UNO-Sicherheitsrat nicht nur Resolutionen zur Besetzung Kuwaits durch den Irak bereithielt: Mehrfach, doch meist vergessen, jedenfalls aber folgenlos, verlangte das Gremium den Abzug der türkischen Besatzungstruppen aus Nordzypern. Kaum war Kuwait befreit und ein Trümmerhaufen, zeigten die USA, daß sie auch eine Lösung des Zypern-Konflikts unterstützen wollten. Nelson Ledsky, Zypern-Koordinator im State Department, versprach eine Übereinkunft noch für dieses Jahr. Schon im nächsten Monat soll die Türkei den Amerikanern und der UNO ihre Version für eine einvernehmliche Lösung des Konflikts überbringen. Noch im Mai trifft Zyperns Präsident Vassiliou mit George Bush zusammen. Es ist offensichtlich, daß die USA die Türkei zu mehr Zugeständnissen zwingen wollen. Bisher gab es nur fruchtlose UNO-Verhandlungen zwischen griechischen und türkischen Zyprioten. Jetzt ist die Besatzungsmacht selbst gefragt.

Für die griechischen Zyprioten der Republik werden die Parlamentswahlen damit zu einem Referendum über die eigene Kompromißbereitschaft. Zwar ist man sich weitgehend darüber einig, einen gemeinsamen Bundesstaat aus griechischen und zypriotischen Insulanern gründen zu wollen. Bei den Einzelheiten aber gibt es Krach. Anfang Mai verursachten Abgeordnete der Kommunistischen AKEL und der konservativen „Demokratischen Sammlung“ einen Aufschrei in der Presse. Sie hatten sich bei einem Treffen der aus der Kleinstadt Kyrenia 1974 vertriebenen Zyperngriechen geweigert, ein Papier zu unterschreiben, das die Rückkehr aller Flüchtlinge verlangt. Das Rückkehrrecht für alle von der türkischen Invasion vertriebenen Menschen zählt zu den geheiligten Prinzipien der Politik — auch wenn jeder weiß, daß es sich kaum durchsetzen ließe. Denn würden tatsächlich alle der 165.000 Flüchtlinge samt ihrer inzwischen geborenen Kinder wieder gen Norden streben, wäre eine bundesstaatliche Lösung ad absurdum geführt. Dann nämlich gäbe es statt eine zyperntürkischen Provinz im Norden und einer griechischen im Süden zwei griechische Provinzen, weil in beiden Gebieten die christlichen Inselbewohner die Mehrheit stellten. Das aber ist für die zyperntürkische Seite vollkommen unakzeptabel.

Der Fall Kyrenia zeigt ein merkwürdiges Auseinanderklaffen zwischen dem offiziell verbreiteten politischen Wortschatz (Alle Flüchtlinge müssen zurückkehren dürfen!) und dem inoffiziellen Geflüster (Wir wissen ja, das läßt sich nicht durchsetzen). Das Ganze erinnert entfernt an Zeiten, als man in der BRD die DDR nur in Gänsefüßchen setzte. Der Fall Kyrenia weist aber auch darauf hin, daß auf Zypern zwei Blöcke existieren, deren Kompromißbereitschaft höchst unterschiedlich entwickelt ist. Auf der Seite der kompromißbereiten Kräfte stehen der 1988 gewählte Präsident Vassiliou, ein unabhängiger Liberaler, und die schon erwähnte kommunistische AKEL und die konservative „Demokratische Sammlung“ (DISY). Ideologisch bekämpfen sich AKEL und DISY bis aufs Messer. AKEL steht — trotz innerparteilicher Perestroika, die zum Auswechseln fast der gesamten FÜhrungsmannschaft und der Parlamentskandidaten führte — für Stalinismus und Moskau. DISY repräsentiert angeblich schon fast den Faschismus. In der sogenannten nationalen Frage dagegen sind sich beide Parteien näher als sie es selbst glauben machen. Ein Stimmenzuwachs für sie — AKEL erhielt 1985 etwa 27, DISY rund 32 Prozent der Stimmen — würde international die Bereitschaft der griechischen Zyprioten zu einer wirklichen Annäherung mit den türkischsprachigen Nachbarn signalisieren. Zu diesem Block hinzurechnen läßt sich noch ADI SOK, eine Gruppe ehemaliger AKEL-Mitglieder, die die Wendung ihrer ehemaligen Partei zur Demokratie für Staffage halten und die deshalb einen eigenen Laden aufgemacht haben. Die intellektuell geprägte Partei hat allerdings nur geringe Chancen darauf, ein oder zwei Kandidaten durchzubringen.

Auf der Seite der Hardliner stehen die laut Eigenwerbung sozialistische EDEK und die konservativ-liberale „Demokratische Partei“ (DIKO). EDEK besticht vor allem durch ihre große Zahl griechischer Fahnen und hat sich dementsprechend dem griechischen Nationalismus verschrieben — kein gutes Omen für einen Bundesstaat mit den Zyperntürken. DIKOs 1988 als Staatspräsident abgewählter Parteichef Spyros Kyprianou wirft seinem Nachfolger Vassiliou einen zu weichen Umgang mit den Zyperntürken vor. Daneben existiert, vom stockreaktionären Erzbischof Chrysostomos („das Goldmäulchen“) angeregt, noch eine Partei der Flüchtlinge, der jegliche bundesstaatliche Lösung abhold ist, die aber wohl kaum mit Parlamentssitzen bedachte werden dürfte. EDEK kam zuletzt auf 11, DIKO auf etwa 27 Prozent der Wählerstimmen. Eine Lösung des Zypernkonflikts wird auch dieser Urnengang nicht bringen. Aber er kann sich als mitentscheidend für die weiteren Verhandlungen erweisen. Dabei sehen manche griechischen Zyprioten das US- Engagement auch mit einiger Skepsis. Sie befürchten, daß am Ende der Gespräche eine schlechte Übereinkunft herauskommt und der Republik Zypern trotzdem nichts anderes übrigbleibt als zu unterschreiben. Diese Befürchtung ist durchaus realistisch. Ein Szenario könnte etwa so laufen, daß die USA und die Türkei sich auf eine Lösung verständigen, die den Zyprioten Geld, ein bißchen mehr Fläche für den zyperngriechischen Teil und die Legalisierung türkischer Truppen im Norden im Rahmen der Nato einbringt. So ein von den Vereinten Nationen abgesegnetes Paket widerspräche zwar den Souveränitätsansprüchen einer unabhängigen und blockfreien Republik — es bliebe den Zyperngriechen aber kaum etwas anderes übrig als dazu ihr Ja-Wort zu geben.

Als reichlich übertrieben gelten unter westlichen Diplomaten in Nikosia die Lockungen Nelson Ledkys auf eine Übereinkunft noch in diesem Jahr. „Wir werden noch ein paar Jahre damit zu tun haben“, ist da noch die optimistischere Prognose.