„Der Schmerz ist derselbe“

■ Auszug aus einem Gespräch mit dem polnischen Filmemacher Krzysztof Kieslowski anläßlich der Uraufführung seines neuen Films „La double Vie de Véronique“

Daß Kieslowski vor drei Jahren international bekannt wurde, hat er unter anderem dem Festival von Cannes zu verdanken. Sein „Kurzer Film über das Töten“ wurde in den Wettbewerb genommen, obwohl Kieslowski damals noch ein Nobody war, ein halbes Jahr später bekam er dafür den Europäischen Filmpreis. Anläßlich der Uraufführung seines neuen, mit französischem Geld produzierten Films in Cannes befragten Marcia Pally und Thierry Chervel den Regisseur. Das vollständige Interview erscheint am kommenden Dienstag.

taz: Wie sind die Arbeitsbedingungen in Polen nach dem Zerfall des Sozialismus?

Krzysztof Kieslowski: Es gibt nur sehr wenig Möglichkeiten. Es gibt keine Arbeit, kein Geld. Arbeiten kann man nur, wenn ausländisches Geld da ist. In Polen gibt es vielleicht noch Geld für jährlich fünf oder sechs Filme. Früher gab es Geld für 40. Es gibt kein Kino in Polen.

Warum haben Sie „La double vie...“ gemacht?

Weil sich die Möglichkeit ergab. Aber ich bin nicht glücklich über das viele Geld. Ich würde es vorziehen, wenn dieser Film und spätere weniger Geld kosten würden. Hier im Westen ist alles sehr teuer. Aber das Wesentliche wird davon nicht beeinflußt. So oder so muß ich morgens aufstehen und die Kameras aufstellen, den Schauspielern erzählen, was sie tun sollen. Egal, ob sie es für Zloty oder für Dollars tun.

Ihre früheren Filme befaßten sich intensiv mit moralischen Themen.

Ich würde das Wort Moral nicht einmal in den Mund nehmen. Denn das würde bedeuten, daß ich Ratschläge geben wollte oder daß ich sagen wollte, wie dies oder das sein soll. Aber ich weiß nicht, wie es sein soll.

Wir meinen nicht, daß der „Dekalog“ moralische Urteile abgibt, aber er stellt moralische Fragen.

Ja, aber ich weiß keine Antwort auf diese Fragen.

Und welche wären Ihre Fragen im heutigen Polen?

Ich stelle die Fragen nicht in bezug auf Polen. Ich stelle Ihnen Fragen.

Welche?

(schweigt)

Was für Fragen stellen Sie in „La double vie...“?

Dieselben wie immer. Wie soll man leben? Wofür? Für wen? Wie soll man sich für was entscheiden? Ich glaube, diese Fragen gehen uns alle an.

Aber es gibt in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Bedingungen, diese Fragen zu stellen.

Natürlich. Im Fernsehen sehen wir, wie in fremden Ländern die Leute zu Tausenden sterben. Oder die Georgier, die sich gegenseitig umbringen. In diesem Fall hätten Sie recht zu sagen, daß sie andere Probleme haben. Aber mir geht es mehr um das, was in uns ist. Und hängt das vom Land ab? Nein. Glauben Sie, daß ein reicher Mann mit Karies weniger Schmerzen hat?

Es ist leichter für ihn, sie behandeln zu lassen.

Der Schmerz ist derselbe.