piwik no script img

»In Potsdam gibt es noch Häuserkampf«

■ In der Hauptstadt Brandenburgs sind 14 Häuser besetzt/ Die Besetzer kommen zum Teil auch aus der Mainzer Straße

Potsdam. Daß sie eine der feinsten Gegenden Potsdams ist, sieht man der Gutenbergstraße wirklich nicht an. Von den Fassaden der Barock- Bürgerhäuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert rieselt der Putz. Durch notdürftig abgedichtete Fenster und schief in den Angeln hängende Haustüren pfeift der Wind. Die Fahrbahn mit dem aufgeworfenen Asphalt und den Löchern gleicht einer Buckelpiste. Hier, mitten im Herz der Innenstadt, wenige Meter vom sogenannten Potsdamer Boulevard, wo jeder jeden kennt, fanden die Anwohner ihr Leben überschaubar, friedlich und gemütlich — bis die Hausbesetzer kamen.

Von den 14 in Potsam besetzten Häusern liegen vier in der Gutenbergstraße. »Im Februar rückte hier ein Trupp von Berlinern aus der Mainzerstraße an und besetzte die 107/108«, erinnert sich ein 25jähriger Anwohner der Gutenbergstraße, der früher selbst einmal Hausbesetzer war. Ob die Besetzer bis zur Räumung im vergangenen November wirklich in der Mainzerstraße wohnten, interessiert den Anwohner nicht. Was ihn nervt, ist, daß die Leute aus »Berlin« kommen und »das typische Berliner Ding« mit gebracht haben, sprich: »Sie stellen sich kein bißchen darauf ein, was in Potsdam läuft«. Vor einem Jahr, erzählt der Ex-Hausbesetzer bitter, hätten die Besetzer noch viel Unterstützung aus der Nachbarschaft bekommen. »Da gab es noch ein gutes Zusammenleben mit den Potsdamer Normalbürgern.«

»Hier herrscht nur noch Chaos«

»Aber seit die Leute aus Berlin hier sind«, erzählt der Ex- Besetzer weiter, »herrscht nur noch Chaos. Ständig gibt es Krawall, werden Scheiben von Banken eingeschmissen, gröhlen abends die Besoffenen 'rum.« Natürlich gebe es in Potsdam auch andere Besetzer. »Wenn man sich wehrt, weil man keinen Mietvertrag kriegt, find' ich es richtig«, versichert er. »Aber nicht, wenn man die Scheiben einschmeißt, weil man Fun haben will.«

Der Potsdamer Stadtrat für Bauen und Wohnen, Detlef Kaminski, der früher dem Neuen Forum angehörte und vor den Wahlen rechtzeitig zur SPD überwechselte, geht davon aus, daß »nur ganz wenige« der besetzten Häuser Verträge bekommen werden. Kaminski begründet dies mit den Ansprüchen früherer Eigentümer und damit, daß die Stadt keine Mittel habe, um sie den Hausbesetzern zur Instandsetzung zur Verfügung zu stellen. Als Linie des Potsdamer Magistrats gibt Kaminski aus, daß seit einem Monat keine Neubesetzungen mehr geduldet würden. Bis zum Beginn der Baumaßnahmen werde jedoch kein Haus geräumt — es sei denn, es würden Straftaten begannen.

Heroin-Dealer kriegen die Sporen

In dem Haus Dortustraße 65, das im Dezember 1989 als erstes Haus in Potsdam besetzt wurde und bislang als einziges einen sogenannten Ausbauvertrag bekam, hat die 22jährige Potsdamer Ex-Laborantin Anja* im Parterre einen Trödelladen eröffnet. Anja hat gerade Besuch von fünf Besetzern aus der Gutenbergstraße. In der zufällig zusammengewürfelten Gruppe, die bei Anja auf dem Fußboden hockt, kommt nur der 26jährige Hans* aus dem Westen. Der hagere hochgewachsene Mann, der seine Haare unter einem Kopftuch versteckt hat, ist gebürtiger Schwabe. Nachdem er 17 Jahre seines Lebens im Heim, fünf Jahre im Knast und zwei Jahre in Kreuzberg zugebracht hatte, verschlug es ihn vor fünf Wochen nach Potsdam. Hans ist von Potsdam völlig begeistert. »Hier ist die Szene noch Szene im Sinne von Häuserkampf, Rassismus- und Wohnungsnotbekämpfung« sagt er unter beifälligem Nicken der anderen. Das tolle an Potsdam beschreibt Hans mit einem Bespiel: »Wenn ich in Potsdam durch die Straßen gehe und die Tränen laufen mir runter, dann bleibt totsicher jemand stehen und fragt, was los ist. Das würde dir in Berlin bestimmt nicht passieren«. Der 21jährige Potsdamer Charlie*, ein Anhänger der Redskin, preist Potsdam dafür, daß es hier noch keine Heroin-Dealer gibt. »Wenn ich einen erwischen würde, der würde Sporen kriegen« droht Charlie, der früher Maschinenmonteur war und jetzt auf Null-Kurzarbeit ist. Zum Redskin wurde er, weil er früher in einer Neubausiedlung wohnte und dort wegen seines Äußeren ständig von Skinheads zusammengeschlagen wurde. Charlie schätzt, daß 60 Prozent der Hausbesetzer in Potsdam arbeitslos sind oder von Sozialhilfe leben.

Die meisten Hausbesetzer, egal ob sie aus dem Westen oder Osten kommen, sind für Potsdam »eine totale Bereicherung« ist sich die Runde bei Anja einig. »Dazu gehören auch die Leute aus der Mainzerstraße, von denen wollten wir keinen missen.« Daß es »Streß« mit den Anwohnern gibt, finden die Besetzern nicht. »Allenfalls mit einzelnen, die meisten akzeptieren uns« erklärt ein 20jähriger Potsdamer mit grellgelb gefärbtem Haar. Der Schwabe Hans gibt offen zu, es bei Parties »auch mal laut wird und was zu Bruch geht. Das steht aber in keinem Verhältnis zu dem Streß, der entsteht, wenn die Autofahrer hier mit 100 Sachen durchbrettern« findet er.

Auf ihre Zukunft in den Häuser angesprochen, gibt sich die Runde fatalistisch. »Natürlich möchten wir in den Häusern bleiben, aber früher oder später werden die uns räumen.« Der Polizeichef Adam habe zwar sein Wort gegeben, daß nur geräumt werde, wenn es für die Besetzer Alternativen gebe. »Damit«, so glaubt der Redskin, »ist aber wohl nur ein Zimmer im Babelsberger Hochhausghetto gemeint.« Wie man sich im Fall einer Räumung zu verhalten gedenkt, will in der Runde keiner verraten. Im Gespräch über die Polizei wird jedoch deutlich, daß selbst »die Bullen in Potsdam viel lockerer sind, als in Berlin«. Plutonia Plarre

*Namen von der Red. geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen