Die Legende der Mainzer Straße ist jetzt verblaßt

■ Ein halbes Jahr nach der gewaltsamen Räumung: Die Straße wird zum Prestigeobjekt in Friedrichshain

Friedrichshain. Die Legende »Mainzer Straße« ist verblaßt. Wo einst Spruchbänder aus den 13 besetzten Häusern hingen, die Fassaden mit Parolen bemalt waren und Tag und Nacht Musik dröhnte, stehen jetzt Baugerüste und -wagen, sind nur noch typische »Modernisierungsgeräusche« zu hören. Die Straße hat wieder ein durchgehendes Pflaster, die von den Besetzern ausgehobene Gräben sind zugeschüttet. Ein halbes Jahr nach der gewaltsamen polizeilichen Räumung ist der Alltag eingezogen, die Spuren der Besetzung und der Schlacht in der in vieler Hinsicht schicksalhaften Straße im Bezirk Friedrichshain sind getilgt.

Die Besetzer aus den 13 Häusern sind zerstreut. Auch das Ende der »Lebensart Mainzer Straße« scheint endgültig. Zu Beginn der Besetzung hatten sich ausschließlich Ostberliner zum gemeinsamen Wohnen niedergelassen. Später wurden die Häuser Zentrum der West-Besetzerszene. Während der Räumung wurden 220 Westberliner, 58 Ostberliner, 51 Jugendliche aus anderen Bundesländern und fünf Ausländer festgenommen.

Das anfängliche Modell der »Mainzer Wohngemeinschaft« hat sich nicht wieder herausbilden können. Doch der Gedanke, in eine Ein- Zimmer-Wohnung zu ziehen, sei für alle »Mainzer« nach dieser Erfahrung absurd. Wie viele, die die gewaltsame Räumung miterlebten, stehe auch er noch immer wie unter Schock, beschreibt Michael seinen depressiven Gemütszustand. Er hat Unterschlupf in einem besetzten Haus im Prenzlauer Berg gefunden. Die einmalig verwirklichte, abstrakte Idee einer vielköpfigen Wohngemeinschaft sei ausgelöscht.

Für das Bezirksamt und die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) ist die Mainzer Straße zu einer Art Prestigeobjekt avanciert. Bereits im Juni sollen nach den Worten von Baustadtrat Gerd Hannemann (CDU) die ersten Mieter in eines der 13 Häuser einziehen. Nachdem sie jahrelang leerstehend verrotteten und während der Räumung noch zusätzlich in Mitleidenschaft gezogen wurden, werden sie nun umfassend rekonstruiert. Bad oder Dusche, Innentoilette, geflieste Küche und Zentralheizung werden eingebaut. 1992 sollen alle 13 Gebäude bezugsfertig sein, schließlich stehe man unter erheblichen Erfolgszwang, so die WBF. Doris Knieling