Die grüne Lust am Untergang

Die grüne Bundesversammlung in Neumünster am letzten Aprilwochenende sollte ein Neubeginn sein, sollte Zeichen setzen und signalisieren, daß die Wahlniederlage vom 2.12.1990 die Partei zur Besinnung, nämlich zur Abkehr von jahrelangen, lähmenden Flügelkämpfen gebracht habe und die Wahlerfolge in Hessen und Rheinland-Pfalz den Wiederaufstieg aus der Niederung grüner Selbstzerfleischung markieren würden.

Doch nichts davon wurde Wirklichkeit. Im Gegenteil, die dreitägige Schlammschlacht in Neumünster mit ihrer totalen inhaltlichen Leere, mit infantilem Gerangel und Gebrülle und der Unfähigkeit, konstruktive Zeichen zu setzen, hinterließ nur Zorn, Abscheu und Resignation. Statt des erhofften Neubeginns ein schriller Abgesang, fast schon ein Begräbnis dritter Klasse.

Wie sollte es auch anders sein, wenn von dem Bündel wichtiger und dringender Anträge zu grüner Außen-, Friedens-, Menschenrechts- und Innenpolitik nichts behandelt wurde, weil die grüne Selbstbefriedigung dominierte und alle Zeit in Anspruch nahm? Was macht es schon, wenn die Bundesregierung lügt, daß sich die Balken biegen, wenn Kurden zu Tausenden verrecken, Umweltkatastrophen den baldigen ökologischen Kollaps ankündigen, während die Waffenschmieden weiterrauchen, wenn die neuen Bundesländer im Elend versinken und Intoleranz, Ausländerfeindlichkeit und primitiver Nationalismus sich breitmachen, solange es gilt, grüne Flügelschlachten auszutragen und die alten Zöpfe einer grünen Mißtrauenskultur millimeterweise zu verteidigen.

Da war es ja fast ein Wunder, daß es überhaupt noch gelang, die längst auf dem Müllhaufen grüner Fehlentscheidungen gelandete Rotation grüner Mandatsträger auch formal abzuschaffen und den Bundesvorstand der Partei von elf auf neun Gewählte zu verkleinern, eine wirklich kühne und wegweisende Entscheidung! Begleitet allerdings von dem Schönheitsfehler, daß die Zeit nur noch zur Wahl der beiden SprecherInnen und des Schatzmeisters reichte, während alle anderen Vorstandsmitglieder auf einer neuen Versammlung erst noch gewählt werden müssen. Kein Wunder also, daß so vergleichsweise unwichtige Sachen wie die Forderung nach dem Rücktritt der Bundesregierung oder nach schneller und wirkungsvoller Hilfe für die Kurden (um nur diese Beispiele zu nennen), gar nicht erst behandelt wurden.

Klaus Hartung hat leider recht, wenn er in der taz schreibt, die Grünen hätten mit diesem Parteitag eine neue Etappe ihres Zerfalls inszeniert. Daß als Ergebnis dieses Zerfalls Jutta Ditfurth und Politkommissar Manfred Zieran den Austritt aus der grünen Partei fernsehwirksam ankündigten, ist dabei freilich eher von Vorteil für die Glaubwürdigkeit grüner Politik. Denn wer Kuba immer noch als Modell für die Bundesrepublik preist und die von China begangenen Menschenrechtsverletzungen ignoriert, untergräbt diese Glaubwürdigkeit permanent. Doch andere Konsequenzen sind ernster zu nehmen. Das gilt vor allem für die Signalwirkung, die von der Wahl der beiden SprecherInnen ausgehen muß.

Ludger Volmer, der als Bundestagsabgeordneter zu keiner Zeit Kontakt zu den Bürgerrechtsbewegungen in der DDR gesucht und gehabt hat, ist kaum zum notwendigen Brückenschlag in die neuen Bundesländer prädestiniert. Noch weniger allerdings Christine Weiske, die zwar der ehemaligen DDR, nicht aber der dortigen Bürgerrechtsbewegung entstammt und ihr Interesse an Politik erst nach der Wende entdeckt hat. Die herben Kommentare von Vertretern dieser Bewegung, wie Konrad Weiß und Wolfgang Ullmann, zu ihrer Wahl lassen ahnen, welches Hindernis für das so notwendige künftige Zusammenwachsen von Grünen und Bündnis90 allein mit Frau Weiskes Wahl als Vorstandssprecherin aufgebaut worden ist. Beim Bündnis90 hat und wird man nicht vergessen, daß Frau Weiske es war, die als Vertreterin der Ost-Grünen am zentralen Runden Tisch vor der Volkskammerwahl im März 1990 dafür plädiert hat, nur Parteien zur Wahl zuzulassen, was praktisch den Ausschluß der Bürgerrechtsbewegung von dieser Wahl bedeutet hätte. Diese unnötige Hypothek auf einem noch dichteren, gemeinsamen Dach von Grünen und Bündnis90 ist schon deshalb verheerend, weil bei der nächsten Bundestagswahl ohne getrennte Wahlgebiete und ohne separate Fünfprozentklausel die im Bündnis90 zusammengeschlossenen Gruppierungen ohne Fusion mit den Grünen keine Überlebenschance haben werden. Daß es mit dem neugewählten Sprechertandem jemals zu dieser Fusion kommen kann, ist allerdings schwer vorstellbar. Man kann nur bedauern, daß es nicht gelungen ist, Jens Reich oder Bärbel Bohley als Vertreter des Bündnis90 für eine Kandidatur als SprecherIn im neuen grünen Bundesvorstand zu gewinnen. Doch vielleicht wären auch sie auf diesem jämmerlichen Parteitag der immer noch vorhandenen grünen Voreingenommenheit gegen Kompetenz und Bekanntheitsgrad zum Opfer gefallen. „Wir brauchen neue Köpfe“, proklamierte ein junger Delegierter lautstark. Nun sind sie da, aber sie wecken nicht die Hoffnung auf ein ökologisch-vernetztes Denken und lassen eher abgestandene linke Dogmen erwarten, wie sie sich vor allem aus Christine Weiskes poppiger, aber inhaltsloser Vorstellungsrede mit der mehrfachen Charakterisierung der Gesellschaft als abzulehnendem Nutzobjekt erahnen lassen.

Alles in allem kein Grund zur Freude, dafür — wie gesagt — umso mehr für Zorn, Trauer und Resignation. Petra K.Kelly, Gert Bastian, Bonn