Das polyglotte Energiebällchen

■ Steffi Graf gewinnt das Finale von Berlin mit 6:3, 4:6, 7:6 gegen Arantxa Sanchez Vicario

Berlin (taz) — Die spanische Tennisspielerin Arantxa Sanchez Vicario ist ausgesprochen sprachbegeistert. Es genügt ihr bei weitem nicht, ihre Heimatsprache völlig und das Englische fast perfekt zu beherrschen, sondern sie trachtet auch danach, sich des Deutschen, des Italienischen und des Französischen zu bemächtigen.

Zwecks Übung besteht die 19jährige darauf, Pressekonferenzen jeweils im landesüblichen Idiom abzuhalten und treibt damit die Journalisten in aller Welt zur Verzweiflung. Denn ihre Fortschritte im babylonischen Sprachgewirr sind zwar durchaus beeindruckend, aber die Mittel des Ausdrucks sind trotzdem noch arg begrenzt.

Egal wie die obligatorische Frage nach dem gerade absolvierten Match lautet, unweigerlich antwortet Arantxa nach einem Sieg: „Ich habe sehr gut gespielt, weil, ich habe mich sehr gut konzentriert, aggressiv gespielt, und wenn ich eine Gelegenheit hatte, den Punkt zu machen, habe ich sie konsequent genutzt. Ich habe sehr gut gespielt, ich bin sehr glücklich.“ Ein Satz, den sie vermutlich auch in Russisch, Serbokroatisch oder Kisuaheli fehlerfrei aussprechen könnte. Wenn sie eine Frage nicht ganz mitbekommt, sagt sie in der Regel einfach: „Ich werde mich völlig normal auf das nächste Match vorbereiten, meine Kondition ist sehr gut, und ich glaube, daß ich gewinnen kann.“ Wagt es einer der Pressevertreter, schüchtern anzufragen, ob man nicht vielleicht doch in Englisch..., erntet er ein entrüstetes Augenfunkeln: „Aber nein, ich will doch lernen.“ Und stumm rauft sich das Auditorium die Haare.

Während eine gut aufgelegte Steffi Graf im Halbfinale der „Internationalen Deutschen Tennismeisterschaften“ in Berlin mit der indisponierten Tschechoslowakin Jana Novotna leichtes Spiel hatte, mußte Sanchez Vicario gegen die 14jährige Jennifer Capriati mächtig kämpfen. Mit dem 15jährigen Ex-Wunderkind aus Florida lieferte sie sich exzellente Grundlinienduelle, die das bei diesem Turnier bislang nicht gerade verwöhnte Publikum des öfteren in helles Entzücken versetzten. Kaum ein Ball, den die beiden wieselflinken Spielerinnen nicht erliefen und meist auch zurückbrachten.

Mit 1:6, 1:6 hatte die Spanierin vor mehr als einem Jahr in Amelia Island gegen den damaligen Neuling Capriati verloren, diesmal behielt sie mit 7:5, 5:7, 6:4 die Oberhand. Warum? „Ich habe sehr gut gespielt, weil, ich habe mich sehr gut konzentriert, aggressiv gespielt, und wenn ich eine Gelegenheit hatte, den Punkt zu machen, habe ich sie konsequent genutzt. Ich bin sehr glücklich.“ Aha!

Natürlich war Arantxa Sanchez Vicario auch für das Finale gegen Steffi Graf „in guter Kondition“ und glaubte, „gewinnen zu können“. Damit lag sie gar nicht mal so falsch, es wurde ein sehr spannendes und enges Match. Graf hat sich nach eigenem Bekunden wieder auf ihre alte Stärke besonnen, nachdem sie im letzten Jahr „zu viel ausprobiert“ hatte. Nun vertraut sie wieder voll auf ihre berüchtigte Vorhand, und dadurch habe sie Sicherheit und Selbstvertrauen zurückgewonnen.

Sanchez dachte jedoch nicht daran, diese neue alte Stärke zu fördern. Sie spielte beharrlich auf die Rückhand, um Fehler zu provozieren oder ihre Gegnerin zu zwingen, die Bälle zu umlaufen, um dann ihrerseits die fulminante beidhändige Rückhand die Linie entlang auf die entblößte Seite des Feldes zu wuchten. Hinzu kam, daß die Spanierin, die dreieinhalb Kilo abgenommen hat, den Bällen hinterherhetzte wie ein rekordverdächtiger Windhund. Zwischendurch grimassierte, lachte oder schimpfte sie (auf spanisch), und machte zeitweise den Eindruck einer etwas überkandidelten Ballmaschine, vermessen genug, sogar nach hochabspringenden Schmetterbällen zu hüpfen. Und wäre sie ein paar Zentimeter größer, hätte sie vermutlich sogar diese noch erwischt.

Den ersten Satz verlor Sanchez zwar mit 3:6, gewann den zweiten aber 6:4. Im dritten sah es bereits nach einer kleinen Sensation aus, denn das polyglotte Energiebällchen ging mit 5:3 in Führung. Die Weltranglistenzweite riß sich jedoch noch einmal zusammen, holte beharrlich auf, glich zum 5:5 aus, bald darauf stand es 6:6, der Tiebreak mußte entscheiden.

Dieser war ebenso umkämpft wie das gesamte Match. Den zweiten Matchball für Steffi Graf schlug Arantxa Sanchez Vicario schließlich nach 2:18 Stunden beim Stande von 7:6 mit der Rückhand ins Netz. Matti/miß