Real funktionierender Kapitalismus

■ Die Schwierigkeiten der Bundesregierung mit der Marktwirtschaft

Real funktionierender Kapitalismus Die Schwierigkeiten der Bundesregierung mit der Marktwirtschaft

Die Marktwirtschaft und den internationalen Wettbewerb propagieren, aber über die Konsequenzen lamentieren, wäre nicht die richtige Attitüde.“ Das ist nicht die spöttische Antwort Moskaus auf die „Unstimmigkeiten“ über den ersten Bauauftrag für 36.000 Soldatenwohnungen in der UdSSR. Es ist vielmehr Originalton Jürgen Möllemann (im 'Handelsblatt‘) und zielt auf die zögernde Haltung der sowjetischen Regierung, trotz Hermes-Sonderkonditionen den Handel mit ostdeutschen Firmen wieder aufleben zu lassen. Die Lektion in Sachen Marktwirtschaft erteilt diesmal aber Moskau. Der erste Teil des Bauprojekts soll nach einer internationalen Ausschreibung an den billigsten und schnellsten Anbieter vergeben werden.

Vertragsgemäß hat sich die Bundesregierung am 9. Oktober 1990 im „Abkommen über einige überleitende Maßnahmen“ verpflichtet, rund 7,8 Milliarden Mark zum Bau von Wohnungen für Soldaten bereitzustellen, die aus Ostdeutschland abgezogen werden. Mit der finanziellen wie humanitären Geste, die den schnellstmöglichen Abzug der einstigen Besatzungsmacht beabsichtigt, sind die Vertragsbedingungen erfüllt. Die Bundesregierung hat insofern völlig korrekt den politischen Gehalt des Abkommens betont, als sie diesmal — sei's versehentlich, sei's vorsätzlich — der deutschen Krämerseele keinen Platz einräumte. Nicht der Bundeswirtschaftsminister durfte das Abkommen unterzeichnen, der Finanzminister setzte seinen Theo unter den Vertrag.

Verängstigt hat Bonn aber inzwischen den Schwanz vor allzu viel Marktwirtschaft eingezogen. Aufgeschreckt durch den empörten Zwischenruf der deutschen Baulobby, die, sekundiert von Gewerkschaften und Wirtschaftspolitikern aller Couleur, Milliardenaufträge an die billigere ausländische Konkurrenz abfließen sieht, wird der sowjetische Vertragspartner flugs unter Druck gesetzt. Moskau handele zwar im Prinzip vereinbarungsgemäß — eine internationale Ausschreibung war von den Deutschen sogar angeregt worden — mißachte aber den Geist des Abkommens. Habe man doch von Anfang an durchschimmern lassen, wer das größte Interesse an einem Bauauftrag zeige. Nachdem sich die Sowjets allerdings nach wie vor widerspenstig den deutschen Interessen gegenüber zeigten, wird jetzt schlicht erpreßt. Bei nüchterner Betrachtung werde Moskau, erklärte Jürgen Möllemann am Sonntag in aller Offenheit, seine Interessen mit Rücksicht auf das deutsch- sowjetische Wirtschaftsverhältnis anders definieren als im Blick auf nur einige tausend Wohnungen. Auf dem nächsten Wirtschaftsgipfel der westlichen Staatengemeinschaft werde ein weiteres Hilfsprogramm für die Länder Mittel- und Osteuropas ins Auge gefaßt. Die Bereitschaft der Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, werde umso größer sein, je mehr „uns die Sowjetunion konstruktiv behandelt“. Die Erpressung wird wohl wirken. Und am Ende werden es dann doch die Deutschen sein, die Moskau eine Lektion in real funktionierendem Kapitalismus erteilt haben. Barbara Geier