INTERVIEW
: „Angeblich wollte ich auch die Regierung stürzen“

■ Der Soziologe Suh Kung, selbst Opfer koreanischer Repression, über Folter und Selbstverbrennung in Südkorea

Der Koreaner Suh Sung lebt mittlerweile in den USA. Er ist im Februar 1990, nach 19 Jahren Haft, aus dem südkoreanischen Gefängnis entlassen worden. Der 45jährige war 1971 nach einer Demonstration gegen die Präsidentschaftswahl verhaftet worden. Im Gefängnis zündete er sich selbst an und überlebte schwer verletzt. Sein jüngerer Bruder, Suh Joon Shik, saß 15 Jahre in Haft.

taz: Herr Suh, Ihre Familie lebte bereits in der dritten Generation in Japan. Warum sind Sie als Student nach Korea zurückgekehrt?

Suh: Meine Großeltern waren in ihrer koreanischen Heimat ganz normale Bauern und mußten als Arbeiter nach Japan gehen.

Wissen Sie, warum Sie 1971 verhaftet worden sind?

Ich war nach dem Staatssicherheitsgesetz (Das Gesetz stellt unter anderem auch Kontakte nach Nordkorea als staatsfeindlich unter Strafe, die Red.) angeklagt. Ich soll Studenten agitiert und geheime staatsfeindliche Organisationen gegründet haben. Angeblich wollte ich auch die Regierung stürzen und mit Gewalt eine Revolution herbeiführen.

Sie haben sich während der Haft angezündet und das, schwerverletzt, überlebt. Warum hat man Sie nicht einfach sterben lassen?

Man könnte das eine humanitäre Maßnahme nennen. Das war es aber nicht. Es macht der Regierung nichts aus, jemanden sterben zu lassen. Jetzt am 26. April ist wieder ein Student erschlagen worden. Das löst allerdings auch große Demonstrationen aus. Der Grund, warum ich überlebt habe, ist, daß sie mich unbedingt vor Gericht stellen, schuldigsprechen und zum Tod verurteilen wollten. Ein Mord während der Verhöre war ihnen zu riskant. Sie haben mich dann auch verhört, als ich bewußtlos war, und meine Hilflosigkeit ausgenutzt.

Wie beurteilen sie die zahlreichen Selbstverbrennungen?

Ich finde es eigentlich sehr schade, daß soviele junge Leute so sterben. Aber das wird so weitergehen, solange es bei uns keine Meinungsfreiheit, keine Gewissens- und keine Verfassungsfreiheit gibt. Ich verstehe den Protest sehr gut, aber ich fühle mich dabei sehr traurig, und ich wünschte, daß das nie mehr passieren muß. Zwischen den jungen Leuten heute und meinem Selbstmordversuch gibt es einen sehr großen Unterschied. Die Regierung wollte meinen Fall damals noch wesentlich höherspielen, als das offiziell in den Zeitungen stand. In der Folterkammer wollten sie erreichen, daß ich gestehe, dem Oppositionsführer Kim Dae Jung Geld, viel Geld, beschafft zu haben für eine geheime Organisation. Für mich war es so, daß ich für mich ganz allein, persönlich, als Mensch, diese unmenschliche Folter nicht ausgehalten habe. Ich konnte aber auch kein falsches Geständnis machen. Das hätte der damaligen Friedensbewegung unheimlich geschadet. Für die Folter war ich aber zu schwach und zu feige, um das durchzustehen.

Welche Chance hat die derzeitige Protestbewegung in Südkorea für die Zukunft?

Weil ich so lange im Gefängnis war, habe ich zu wenig Gefühl für die Gegenwart. Aber für alle diejenigen in der Bewegung, ist bisher immer, wenn die Zukunft sehr düster war, eine neue Flamme hochgeschlagen. So wie der Schmerz der Menschen ist, so ist der Widerstand. Solange die Teilung des Landes nicht überwunden ist, solange es politische Gefangene, Diskriminierung in und Frustration an der Gesellschaft gibt, so lange gibt es auch den Widerstand dagegen. Das Wort „Chance“ ist vielleicht zu sehr die Position eines Kritikers. Darum geht es aber nicht. Die zu lösenden Probleme müssen gelöst und dafür muß gekämpft werden. Das tue ich mit meinem ganzen Körper und mit meiner ganzen Seele.

Haben Sie in den letzten Tagen etwas über das Schicksal Ihrer Familie, vor allem Ihres Bruders Suh Joon Shik gehört?

Heute morgen habe ich mit meiner Schwägerin telefoniert. Gestern (am 18.5. 91, die Red.) war eine große Trauerfeier in Seoul geplant. Die sollte in der Kathedrale stattfinden, ist dann aber an einen anderen Ort verlegt und auch dort von der Polizei verhindert worden. Wir haben seitdem nichts mehr von ihm gehört und fürchten, daß er dabei wieder verhaftet worden ist. Interview: Heide Platen