Sudeten wollen mitverhandeln

Eine fast erloschene Landsmannschaft meldet sich wieder zu Wort/ 42. Sudetendeutscher Tag in Nürnberg/ Schäuble verspricht Vertriebenen Beteiligung an den Verhandlungen mit der CSFR  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Hand in Hand mit der bayerischen Staatsregierung will die Sudetendeutsche Landsmannschaft massiven Einfluß auf die Gestaltung des Staatsvertrags zwischen Deutschland und der CSFR nehmen. Auf dem 42. Sudetendeutschen Tag in Nürnberg, der unter dem Motto „Mut zu Wahrheit und Recht“ stand, forderte der Generalsekretär des Bundes der Vertriebenen (BdV) und CSU-Bundestagsabgeordnete, Hartmut Koschyk, von der Bundesregierung massive „Maßnahmen zum Schutz deutscher Volksgruppen im Osten“. Während Bundesinnenminister Schäuble den Vetriebenen eine Mitwirkung an den Vertragsverhandlungen zusicherte, nutzte Bayerns Ministerpräsident Max Streibl seine Rolle als Schirmherr der Veranstaltung zu einer Kritik an den Vertragsverhandlungen der Bundesregierung mit Polen. Es könne nicht angehen, daß derartige Verhandlungen als „geheime Kommandosache des Auswärtigen Amtes“ geführt würden. An die Adresse der Regierung der CSFR richtete er die Drohung, daß die „CSFR sich an die europäische Hausordnung halten“ müsse, wolle sie „den Weg nach Europa gehen“.

„Mindestens 100.000 Besucher“ wollen die Veranstalter des Sudetendeutschen Tags im Nürnberger Messezentrum gezählt haben. Franz Neubauer, Sprecher der Landsmannschaft, sprach begeistert von einer „Wiedervereinigung der sudetendeutschen Volksgruppe“. Große Teilnehmergruppen waren direkt aus der CSFR und der ehemaligen DDR gekommen.

Noch vor zwei Jahren hatte der BdV die etwa 150.000 Deutschen in der CSFR schon nahezu abgeschrieben, handele es sich doch um eine „Volksgruppe kurz vor dem Erlöschen“. Nach den entschuldigenden Worten, mit denen der CSFR- Staatspräsident Vaclav Havel im März letzten Jahres für die Vertreibung um Verzeihung bat, wittern die Vertriebenen Morgenluft.

Mit diesem „Mut zur Wahrheit“ will sich die Landsmannschaft jedoch nicht zufriedengeben. Sie verlangt Taten insbesondere in Form von Entschädigungen für ab 1945 enteignetes Vermögen. Ansonsten sei die „Rückkehr der CSFR nach Europa gefährdet“. Die Regierung der CSFR will lediglich die Zeit nach 1948 in die Vertragsverhandlungen einbeziehen.

Volle Unterstützung für ihre Forderungen erfahren die Sudetendeutschen von der bayerischen Staatsregierung. Streibl bezeichnete die 1954 für die Sudetendeutschen übernommene Schirmherrschaft des Freistaats Bayern als „echte Herzensangelegenheit“. Alljährlich fließen Millionenbeträge aus dem bayerischen Haushalt in die Vertriebenenorganisationen und die sogenannte „Kulturförderung“ im Osten. „Wir wollen unsere Nachbarn wieder an das christlich-abendländische Europa heranführen“, formulierte Streibl als Ziel dieser Politik.

Vor diesem Ziel steht der Abschluß eines Staatsvertrags zwischen Deutschland und der CSFR. Um den Anspruch der bayerischen Staatsregierung auf eine Beteiligung an den Verhandlungen zu unterstreichen, hat Streibl bei dem Wiener Völkerrechtler Prof. Ermacora ein „Rechtsgutachten zu allen die sudetendeutsche Frage betreffenden Probleme“ in Auftrag gegeben. Streibl will „darauf dringen, daß die Ergebnisse Eingang in die Verhandlungen finden“.

Auch der CSU-Chef Theo Waigel nutzte seinen Auftritt vor den Vertriebenen, um den außenpolitischen Anspruch der CSU zu unterstreichen. Die CSU lege „größten Wert“ darauf, an den Verhandlungen mit der CSFR beteiligt zu werden. Die Sudetendeutschen könnten sich als „vierter Stamm Bayerns immer auf die CSU und die von ihr geführte bayerische Staatsregierung verlassen“. Anders als beim polnisch-deutschen Vertrag solle der Vertrag mit der CSFR, so Bayerns Sozialminister Glück, „ein Vertrag der Völker und nicht der Außenminister“ werden.

Trotz dieser Kritik hatte es Wolfgang Schäuble als Vertreter der Bundesregierung nicht schwer, die Vertriebenen zu stehenden Ovationen hinzureißen. Der Bundesinnenminister betonte, er stehe „persönlich“ dafür ein, daß eine entsprechende Beteiligung der Vertriebenen „an dem Werk der Versöhnung“ verwirklicht werde. Er machte deutlich, daß die Voraussetzung für eine EG- Mitgliedschaft der CSFR eine „dauerhafte Garantie des Minderheitenschutzes“ sei und plädierte für ein „Europa der Regionen, Völker und Volksgruppen“. Schäuble kündigte an, daß die Tür für deutschstämmige Aussiedler auch in Zukunft „nicht zugeschlagen“ werde. „Diese Hilfe können wir weder als Deutsche noch als Christen verweigern.“ Sein eindeutiges Bekenntnis zu der Endgültigkeit der deutschen Grenzen wurde mit vereinzelten Unmutsäußerungen quittiert.

Mit der hohen Besucheranzahl haben sich die Erwartungen der Sudetendeutschen Landsmannschaft erfüllt. Deren Sprecher Franz Neubauer, wertete insbesondere die Teilnahme von je zwei Vertretern des CSFR-Föderalparlaments und des tschechischen Nationalrats sowie die Grußbotschaft des tschechischen Ministerpräsidenten Pithart als „ermutigendes Zeichen“. Das Präsidium des tschechischen Nationalrats hatte sich zuvor gegen eine Teilnahme der Parlamentspräsidentin Buresova ausgesprochen. Mit einem von der Sudetendeutschen Jugend organisierten Fackelzug durch die ehemalige Stadt der Reichsparteitage endete die Großveranstaltung für das „Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen“.