Kroatien wählt den Weg in die Souveränität

■ Am Sonntag votierte die Mehrheit (94 Prozent) der KroatInnen für einen "freien und unabhängigen" Staat. Die Fronten zwischen Kroaten und Serben haben sich nach dem Referendum noch weiter...

Kroatien wählt den Weg in die Souveränität Am Sonntag votierte die Mehrheit (94 Prozent) der KroatInnen für einen „freien und unabhängigen“ Staat. Die Fronten zwischen Kroaten und Serben haben sich nach dem Referendum noch weiter verhärtet.

Kroatien hat gewählt — für Freiheit und Unabhängigkeit“, lauteten gestern die Schlagzeilen in den kroatischen Gazetten. In Zagreb herrschte Freudenstimmung, im Zentrum versammelten sich viele derjenigen Gastarbeiter aus Deutschland und der Schweiz, die zu Zehntausenden nur wegen der Abstimmung angereist waren. Schon vor der vollständigen Auszählung der Stimmen, die erst heute abgeschlossen sein wird, stand das Ergebnis fest: Bei einer Wahlbeteiligung von 86,15 Prozent der 3,65 Millionen Wahlberechtigten Bürger stimmten voraussichtlich über 94 Prozent für ein „unabhängiges Kroatien, das der serbischen Minderheit kulturelle Autonomie und alle Bürgerrechte gewährt und das frei ist, einen Bund mit anderen souveränen Republiken einzugehen“.

Mit der Abstimmung, „die nun dem kroatischen Volk den Weg in die staatliche Unabhängigkeit ebnet“, wird nach Meinung von Präsident Tudjman „Jugoslawien und der Welt“, gezeigt, daß die Kroaten „Herr im eigenen Haus“ sein möchten. Nach dem Hick-Hack um die Wahl des Kroaten Stipe Mesic zum Staatspräsidenten stellt das Ergebnis der Volksabstimmung einen bitter benötigten politischen Erfolg für die kroatische Führung dar.

Bei den 600.000 serbischen Einwohnern des Landes (über 12 Prozent) stieß selbst die abwägend formulierte Frage auf Widerwillen. Immerhin waren in ihr die Forderungen der serbischen Minderheit nach sprachlicher und kultureller Autonomie und die Garantie ihrer Bürgerrechte enthalten. Daß trotzdem der überwiegende Teil der serbischen Bevölkerung nicht an der Wahl teilnahm, ist wiederum ein Zeichen für die Verhärtung des Nationalitätenkonflikts. Eine Woche nach der selbstorganisierten Volksabstimmung der serbischen Minderheit in den von ihr dominierten Gebieten — gemäß der mehr als 90 Prozent der Serben den Anschluß dieser Gebiete an Serbien verlangten — ist eine Diskussion zwischen den Vertretern der beiden Volksgruppen blockiert.

Kroaten von Serben an Stimmabgabe gehindert

Wie gespannt die Atmosphäre in den gemischten oder von Serben dominierten Regionen am Sonntag war, beleuchtet ein Bombenanschlag in der mehrheitlich von Serben bewohnten Stadt Pakrac in Slowenien, bei dem ein Restaurant zerstört wurde. Personen kamen nicht zu Schaden. In Knin und anderen Orten der „Serbischen autonomen Region Krajina“ sind nach Meldungen der kroatischen Medien kroatische Bürger immer wieder an der Stimmabgabe gehindert worden. In dem nun schon zur Berühmtheit gelangten kroatischen Dorf Kijevo, das inmitten der Region Krajina liegt, rückten kroatische Milizen an, um die Stimmabgabe sicherzustellen.

Die Fronten sind mit den Abstimmungen der Serben und Kroaten zunächst weiter verhärtet worden. Zwar bietet die Formulierung der Volksabstimmung in Kroatien noch politische Spielräume, weil in ihr weiterhin an der Perspektive eines Staatenbunds festgehalten wird. Doch schon ist die Souveränitätserklärung Kroatiens für Ende Juni angekündigt. Und wie die Dinge liegen, wird es allen Beteiligten in Jugoslawien leichter fallen, das ethnisch relativ homogene Slowenien in die Unabhängigkeit ziehen zu lassen als Kroatien. Denn im Falle Kroatiens ist die Situation viel komplizierter, weil Serbien nur nach Grenzrevisionen, d.h. nach Abspaltung der von Serben bewohnten Gebiete in Kroatien, einer Unabhängigkeit Kroatiens zustimmen könnte. Und selbst wenn die kroatische Bevölkerung mit der Abtrennung dieser Gebiete von Kroatien einverstanden wäre, schlössen sich Streitereien um den Grenzverlauf an.

Auch im Innern kompliziert sich die politische Situation in Kroatien und in Slowenien, je näher der Tag der Souveränitätserklärung rückt. In Ljubiljana traten Vizepremier Joce Menzinger und mehrere Minister der DEMOS-Koalition des Regierungschefs Peterle zurück, da über die Frage, wie ein einheitlicher slowenischer Wirtschaftsraum geschaffen werden könnte, wie die außenpolitische Isolierung durchbrochen und die Landesverteidigung zu gestalten sei, keine Einigkeit erzielt wurde. In Kroatien deuten sich Flügelkämpfe innerhalb der Regierungspartei an. Präsident Tudjman gilt manchen Vertretern seiner Partei als zu nachgiebig gegenüber Belgrad. Sorge bereitet zudem, daß die mit vielen Hoffnungen gestartete Wirtschaftsreform in Kroatien selbst nicht recht vorankommt; die Kapitalflucht hat beängstigende Ausmaße angenommen. Der wirtschaftliche Bankrott steht vor der Tür. Nachdem die USA nun auch ernsthaft erwägen, Jugoslawien die Meistbegünstigungsklausel zu entziehen und nachdem die EG weiterhin an einem geeinten Jugoslawien festhalten will, weiß trotz des Abstimmungserfolges in Kroatien niemand, wie die Unabhängigkeit politisch-praktisch zu realisieren ist. R. Hofwiler/E. Rathfelder