■ Gruppenbild mit Komponisten

Die Familie der Neuen Musik hat natürlich auch ein Photoalbum. Es beginnt mit einer kleinen Ahnengalerie: oval gerahmte grau-in-grau Bilder zeigen die Großväter Schoenberg, Berg, Webern mit ernsten Mienen, von unwirklichem Licht umschleiert, bei der visionären Arbeit an der ungreifbaren Tonmaterie. Dann die Väter: Stockhausen, Boulez, Ligeti zB. Auf den Jugendphotos verbissen, trotzig, mit Kämpferblick die Geburtswehen der Avantgarde ertragend, wandeln sich Haltung und Ausdruck auf den neueren Schnappschüssen: Grandseigneure, die gelassen einem goldenen Lebensabend entgegenblicken, verehrt, geachtet und mit Kompositionsaufträgen belagert.

Zoltan Pesko hat für einen Kammermusikabend mit dem Berliner Philharmonischem Orchester ein Gruppenbild, bestehend aus Franco Donatoni, Pierre Boulez, Alfred Schnittke, György Kurtág und György Ligeti, zusammengestellt. Alle haben sie schon einen mehr oder weniger umfangreichen Eintrag im Buch der neueren Musikgeschichte zu verbuchen. Ansonsten trennt sie mehr als sie verbindet.

Der Italiener Franco Donatoni hat es gern heftig bewegt. Überschäumende Klangkaskaden, rasende Läufe und permanente Vollbeschäftigung des Ensembles lassen auf ein Faible für sportliche Aktivitäten schließen. Ständig rotierende Mobiles, gehetzte Phrasen, jagende Spielfiguren durchziehen seine Kompositionen und zeigen sich teils als überbordende Vitalität, gelegentlich aber auch als manisch getriebene Verbohrtheit. Kurzatmige seien gewarnt.

Ganz anders Pierre Boulez, der sein schroffes Image längst durch einen abgeklärten Altersstil widerlegt hat. Die spröde Knäckebrot-Ästhetik seiner frühen seriellen Stücke ist längst einer hedonistischen Klangsinnlichkeit gewichen, die sich gehässigerweise als stark parfümiert bezeichnen ließe (das hat man einst Debussy vorgeworfen, heute denkt man da anders).

Alfred Schnittke ist sicher einer der am häufigsten gespielten Neutöner in Berlin. Aber nicht alles was er komponiert ist neu. Als erklärter Anhänger der „Polystilistik“ (will irgendjemand den Ausdruck „Postmodern“ noch hören?) ist sein Metier oft mehr das der Kombination denn das der Komposition. Selbstverständlich wird nirgends abgeschrieben oder wörtlich zitiert, sondern »nachempfunden«, was sich aber nicht selten eher in Tonsatzstilstudien niederschlägt als in eigenständigen Remakes. Gepaart mit einer religösen Inbrunst resultieren üppige Klangschinken, die zugleich ergreifen und ironischen Abstand wahren wollen. Ich kann diese Haltung nicht leiden, aber bei nicht wenigen erzeugt diese Musik die gewünschten großen Gefühle und das ist ja auch schon mal was.

György Kurtág gehört zu den unterschätzten Komponisten. Ein Grund dafür ist sicher sein äußerst langsames und vorsichtiges Komponieren. Obwohl er seit fast fünfzig Jahren komponiert, hat er noch keine dreißig Opera zusammen und liegt damit noch unter dem Minimaloeuvre von Anton Webern. Wie dieser neigt Kurtág zum Fragmentarischen, zum Reduzieren, sieht er eine Herausforderung darin »es zu wagen, mit noch weniger Tönen zu arbeiten«. Daraus resultiert eine Expressivität, die überzeugend wirkt, weil er auf reißerische Effekte verzichtet, weil er Noten wegstreicht statt immer noch eins draufzugeben. Wie eng die eigene Befindlichkeit in das Komponieren einfließt, mag folgende Passage verdeutlichen:

»Ich begann aus Streichhölzern eckige Figuren zu formen. Es entwickelte sich eine Symbolwelt. Ich fühlte mich in einem regenwurmartigen Ungezieferzustand, mit einem gänzlich reduzierten Menschsein. Die Streichholzfiguren und die Staubflocken (ich putzte bei mir nicht jeden Tag) und dazu die schwarzen Kippen (damals rauchte ich auch) versinnbildlichten mich. Den Streichholzkompositionen gab ich auch einen Titel: 'Die Kakerlake sucht den Weg zum Licht'. Das ist auch der programmatische Inhalt einer Komposition geworden. Zwei Zeilen von Tudor Arghezi: 'aus Schimmel, eiternden Wunden und Schlamm erschuf ich neue Schönheiten und Werte' hätte ich beinahe als Motto an den Anfang geschrieben.«Heute abend erklingt die Uraufführung von Opus 15c, dem »Grabstein für Stephan«, es ist bereits die dritte Näherung an dieses Thema.

György Ligeti hat von jeher Subjektivität aus seinen Werken herausgehalten. Er interessiert sich für Strukturen die sich überlagern, für Netzwerke und Gewebe, für rhythmische Raster und mechanische Motorik. Durch vielfache Schichtungen ergeben sich Texturen, die die Einzelheiten verdecken, aber ein komplexes Ganzes erzeugen. Das »Kammerkonzert für 13 Instrumentalisten« konstruiert auf mannigfaltige Weise Gitter und Strukturen, die das Ohr zum Flattern bringen, weil die Tricks der Manipulation der akustischen Wahrnehmung von Ligeti bestens beherrscht wird.

Spielerischer Elan, Klangfarbenraffinesse, polystilistisches Pathos, reduktive Expression und Konstruktivität sind die Positionen der fünf älteren Herren aus dem Photoalbum der Neuen Musik, das so grundsätzlich verschiedene Charaktere aufweist, wie jedes andere Familienalbum auch. Die Komponisten Donatoni, Boulez, Schnittke, Kurtág und Ligeti werden um 20 Uhr im Kammermusiksaal der Philharmonie aufgeführt. fh