: Nomenklatura-Firmen: Illegal — doch alle sind zufrieden
Wie eines von Polens größten Modehäusern zum Eigentum seines Direktors wurde/ Ermittlungen gegen illegale Privatisierer verlaufen meist im Sande ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
Das Modehaus „Telimena“ in Lódź ist in ganz Polen bekannt. Kaum jemand aber weiß, daß aus dem einstigen Staatsbetrieb inzwischen eine private Aktiengesellschaft geworden ist. Schon 1989 nämlich hatte die Leitung des Staatsbetriebs eine private AG gegründet. Anschließend fuhr Direktor Wawrzyniak nach Warschau und überzeugte den damaligen Industrieminister Mieczyslaw Wilczek davon, daß Telimena aufgelöst werden müsse.
Wawrzyniak wurde zum Konkursverwalter bestellt und vermietete das Vermögen des Staatsbetriebs an die Telimena AG, an der er zugleich Anteile besaß und deren Direktor er ebenfalls war. Ob Telimena tatsächlich überschuldet war und somit legal auf diese Weise privatisiert wurde, vermag im Industrieministerium heute niemand mehr zu sagen.
Andrzej Soltysik, Vizedirektor des Departments für Betriebsökonomie, ist erst seit kurzem im Amt. Einen Vorgänger hatte er nicht, und wer den Fall 1989 bearbeitete, läßt sich nicht mehr ermitteln. In einem ist sich Soltysik aber sicher: „Eine öffentliche Ausschreibung fand nicht statt.“
Nomenklatura-Gesellschaften heißen im Volksmund Firmen wie Telimena, die aus dem Staatseigentum unter der Hand in den Besitz ihrer vorherigen Direktoren überführt werden. Seit kurzem hat der Sejm sogar ein Gesetz verabschiedet, mit dem die Nomenklatura zur Kasse gebeten werden soll. Doch von 173 staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren mündeten gerade zehn in eine Anklageerhebung.
Tatsächlich gibt es bei solchen Praktiken nämlich kaum einen Benachteiligten: Der Direktor ist zufrieden, denn die Firma gehört ihm. Der Betriebsrat ist zufrieden, denn meistens erhält er auch Anteile, die Belegschaft ist zufrieden, weil ihr zumeist auch die Löhne erhöht werden. Nur der Staat hat das Nachsehen, weil die Pachtverträge meist zu seinen Ungunsten formuliert sind.
Doch der Staat, in Gestalt des Industrieministers, drückt gern ein Auge zu, wie Direktor Soltysik sagt: „Sollen wir einem prosperierenden Unternehmen Steine in den Weg legen?“ Dabei hätte das Ministerium durchaus Möglichkeiten, die entgangenen Einnahmen bei der Privatisierung der Telimena AG zurückzufordern: nach dem „Dyner-Gesetz“, benannt nach seinem Autor, dem Solidarność-Abgeordneten Jerzy Dyner.
„Da gibt's zwei Möglichkeiten“, meint Soltysik, „entweder Telimena kann zahlen, dann ist alles o.k. Oder die Firma kann nicht, dann geht sie ein zweites Mal in Konkurs.“ Im Grunde sei das Dyner-Gesetz ein „geradezu bolschewistischer Einfall“, der mit Marktwirtschaft nicht viel zu tun habe, findet Soltysik, selbst Solidarność-Mitglied. Und deshalb heißt das Motto: Schwamm drüber.
Die Summe, die zur Debatte steht, beläuft sich auf umgerechnet 600.000 Mark. Diese Zahl stammt vom Obersten Rechnungshof, der die Telimena-Affäre ans Licht brachte. Die Telimena-Direktion bestreitet, daß dem Staat durch die Privatisierung tatsächlich so viel an Exporterlösen vorenthalten geblieben ist. Um die Sache ins Reine zu bringen, will die AG nun das bislang gepachtete Firmenvermögen kaufen. Dabei soll es eine unabhängige Vermögensbewertung geben und auch eine öffentliche Ausschreibung. Den Gewinn aus zwei Jahren halblegaler Tätigkeit wird dem Direktor-Eigentümer Wawrzyniak aber wohl niemand nehmen.
In einem anderen Fall war die Exekutive nicht so nachgiebig: Das riesige polnische Landwirtschaftskombinat „Iglopol“, das auf ähnliche Weise privatisiert wurde, kam zurück unter staatliche Verwaltung, der Direktor wurde entlassen, seine Aktiengesellschaft zwangsaufgelöst.
Bei derartigen Privatisierung gibt es grundsätzlich die Tendenz, das Betriebsvermögen zu niedrig zu bewerten. Daher werden laut Soltysik seit kurzem immer zwei Consulting- Firmen beauftragt. Die erste bewertet das Vermögen, die zweite kontrolliert. Daß das Interesse an der „Privatisierung per Auflösung“ inzwischen stark zurückgegangen ist, hat allerdings einen anderen Grund. Die Vermögensbewertung findet nach den Preisen vom Jahresanfang statt. Infolge der Inflation ist es für die Anteilseigner also am günstigsten, Aktien möglichst am Ende des Jahres zu erwerben, kurz bevor die Neubewertung stattfindet. Privatisiert wird daher mit Vorliebe im Dezember, wenn die Löhne mit der Inflation gestiegen, die Aktiennominale aber noch auf dem Stand vom Jahresanfang sind.
Daher standen die Betriebsräte und Direktoren zu Weihnachten bei Soltysik im Ministerium Schlange: „Die mieteten sich sogar tage- und wochenlang in den Hotels ein, um noch vor der Neubewertung im Januar dranzukommen.“ Die Belegschaften müssen mindestens 20 Prozent des Eigenkapitals eines Staatsbetriebs selbst einbringen. Von der Möglichkeit, den eigenen Betrieb zu Vorzugsbedingungen zu leasen, machen bisher aber nur wenige Gebrauch. Viele warten wohl auf den nächsten Dezember — während man sich im Ministerium überlegt, wie man den nächsten Weihnachtsstau vermeiden könnte.
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