GASTKOMMENTAR
: Ist es für Äthiopien schon zu spät?

■ Heute trat der Chef der äthiopischen Militärdiktatur, Mengistu, zurück

Mengistu Haile Mariam hat endlich den Weg freigemacht. Er, der sein Volk in den vergangenen Jahren immer wieder zur endgültig letzten Schlacht für die Einheit des äthiopischen Vaterlandes aufrief, er, der Zigtausende junger Zwangsrekrutierter im Kampf gegen die Befreiungsbewegungen verheizte, der erbarmungslos mit allen seinen Gegnern kurzen oder gar keinen Prozeß machte, er hat nun selbst das Feld räumen müssen. Warum nicht früher so? Die Bevölkerung war Krieg, Tod und Not längst satt, die Armee geschlagen und demoralisiert, die Wirtschaft bankrott, das Land am Ende.

Die erste Reaktion auf diese Nachricht ist Hoffnung — verständlicherweise. Denn Mengistu war bis zuletzt das Haupthindernis für ernsthafte Verhandlungen über eine politische Lösung der äthiopischen Wirren und Nöte. Mit ihm gab es keine Zukunft — kein Ende der Kämpfe, keine Demokratisierung, keine Versöhnung. Da halfen auch die Absage an den Marxismus-Leninismus und die wirtschaftliche Liberalisierung und Anbiederung an den Westen nicht mehr.

Eindeutige Sieger sind die Befreiungsbewegungen. Ihr Vormarsch in den vergangenen Monaten hat Mengistu das Genick gebrochen, und sein Abgang hat deren militärische und politische Position weiter gestärkt. Und doch ist es nur ein Etappensieg. Auch den Befreiungsbewegungen sollte klar sein, daß ihr Sieg über Mengistu nicht bedeutet, daß sie auch eine militärische Lösung für den gordischen Knoten in Äthiopien erzwingen können. Liberia und Somalia sollten ihnen eine Warnung sein. Notwendig ist eine sofortige Beendigung der Kämpfe. Um die Hungerhilfe zu organisieren. Und um eine politische Lösung zu finden. Ob aus der Chance eine dauerhafte Lösung wird, hängt jetzt gleichermaßen vom politischen Geschick der Befreiungsbewegungen, von ihrer politischen Vernunft wie von der weiteren Entwicklung in der Hauptstadt Addis Abeba ab. Wird es eine zivile Übergangsregierung geben? Eine Nationale Konferenz? Heute ist nur eines klar: Mit Mengistu ging's nicht mehr. Aber geht es ohne ihn leichter? Oder ist es schon zu spät? Uwe Hoering

Der Autor ist freier Journalist.