INTERVIEW: „Der Irak ist nie mehr sicher für uns“
■ Gespräch mit einem assyrischen Christen in einem Flüchtlingslager an der türkisch—irakischen Grenze/ Für ihn gibt es kein Zurück mehr in den Irak
Zusammen mit rund 2.000 weiteren assyrischen und chaldäischen Christen weigert sich der 38jährige Immanual T., das Flüchtlingslager an der türkisch-irakischen Grenze zu verlassen und in seine Heimatstadt Zakhu im Irak zurückzugehen. Der Vater von vier Kindern muß zudem als ehemaliger Armeeangehöriger befürchten, im Fall einer Rückkehr als Deserteur erschossen zu werden. In diesem Camp befinden sich auch mehrere kurdische ehemalige Angehörige der irakischen Armee, die desertierten und mit ihren Familien Richtung Grenze flohen, als das Militär den kurdischen Aufstand Ende März niederschlug.
taz: Die meisten kurdischen Flüchtlinge aus diesem Camp bereiten sich auf die Heimkehr vor oder sind bereits zurückgekehrt. Die assyrischen Christen in diesem Camp wollen unter keinen Umständen in den Irak zurück. Warum?
Immanual T.: Weil es für uns im Irak keine Perspektive mehr gibt. Es ist gefährlich für uns. Wir haben dort jahrelang gelebt, aber die Situation wird für die Christen immer unerträglicher. Wenn irgendein anderes Land uns aufnimmt, werden wir sofort auswandern. Die meisten von uns haben Verwandte in den USA, in Kanada, in Schweden oder Deutschland. Für mich persönlich gilt zudem, daß ich als Fahnenflüchtiger gesucht werde. Und die werden erschossen, wenn das Militär sie erwischt. Ich war bis 1989 in der Armee. Dieses Jahr im März sollte ich wieder einrücken, bin dann aber nicht mehr hingegangen. Kurz danach sind wir aus Zakhu geflohen, als die irakische Armee kam, um den Aufstand niederzuschlagen.
Wann sind Sie zum ersten Mal eingezogen worden?
Das war 1979. Ich sollte meinen Militärdienst ableisten. 15 Tage später begann der iranisch-irakische Krieg. Dann blieb ich neun Jahre und acht Monate beim Militär.
Während der Invasion Kuwaits und des Krieges gegen die Amerikaner hat man Sie nicht eingezogen?
Nein, aber meinen Bruder, der jetzt auch im Flüchtlingslager ist. Der war kurz vor unserer Flucht aus Zakhu aus saudi-arabischer Kriegsgefangenschaft heimgekommen.
Aber Zakhu gehört mittlerweile zur Sicherheitszone der Alliierten. Warum fühlen Sie sich dort nicht sicher?
Die Amerikaner werden nicht ewig bleiben können. Der Irak wird nie mehr sicher für uns sein. Das Problem liegt dabei nicht nur in der Person Saddam Husseins und seinem System. Es war schließlich das Volk, das zugelassen hat, daß er sich wie ein zweiter Gott aufführen kann. Und was unsere Stellung als Christen betrifft, so ist es mehr ein gesellschaftliches als ein politisches Problem. Die Menschen sind einfach noch nicht reif, mit verschiedenen Religionen zusammenzuleben.
Haben sich die Christen im März am Aufstand gegen die Diktatur beteiligt ?
Davon habe ich nichts gehört. Zumindest in Zakhu hat sich das Ganze auch nicht als Aufstand abgespielt, sondern eher als Chaos und Anarchie. Jeder tat, was er wollte. Die Leute brachen in die Schulen, Krankenhäuser und Verwaltungsgebäude ein. Man hat viel von dem zerstört und geplündert, was dem Volk hätte von Nutzen sein können, wenn Saddam tatsächlich gestürzt worden wäre. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die kurdischen Führer über diese Vorfälle besonders erfreut waren. Aber in Zakhu war von einer organisierten Führung ohnehin nichts zu sehen. Es hieß immer, daß Peshmerga aus Syrien nach Zakhu kommen sollten. Aber von denen haben wir nie einen gesehen.
In welches Land wollen Sie auswandern ?
Egal, wir sind ohnehin nicht in einer Position, in der wir wählen können. Wir gehen überallhin, solange es kein Land im Mittleren Osten ist.
Das Gespräch führte Andrea Böhm
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