: Christen im Nordirak: Nicht Kurden und nicht Araber
Chaldäer, Assyrer und Armenier fühlen sich von der kurdischen Mehrheit diskriminiert/ Sie werden als fünfte Kolonne Bagdads verdächtigt/ Frömmigkeit als Protest/ Auswanderung in den Westen oder nach Bagdad erscheint als Alternative zu einem Leben „unter“ kurdischer Autonomie ■ Aus Zakho Antje Bauer
Ein angenehm kühles Halbdunkel herrscht in der Kirche. Auf geschnitzten Holzstühlen sitzen bezopfte Mädchen in ihren Sonntagskleidern neben Frauen mit Spitzenschleiern und geschminkten Lippen. Vorne haben Männer mit kurdischen Turbanen und weiten Hosen Platz genommen. Schier endlos zieht sich der melodische Wechselgesang der Gemeinde hin, Frauen wischen sich verstohlen Tränen ab.
Nach dem Gottesdienst werden im Innenhof der assyrischen Kirche von Zakho große Tische aufgestellt und riesige Töpfe voller gefüllter Paprika, Huhn mit Reis und Griesklößen aufgefahren, die von den Gläubigen im Handumdrehen vertilgt werden. Die Gemeinde begeht den Tag der Schutzpatronin ihrer Kirche, der Maria der Gewürze, wie der Priester, ein alter Mann mit lebhaftem BLick, erklärt. Die Christen in Zakho hätten keine besonderen Probleme, versichert er. Doch bald drängen sich andere Mitglieder der Gemeinde dazwischen, die nur einen Wunsch äußern: den Irak so schnell wie möglich zu verlassen. „Wir Christen können weder mit den Arabern noch mit den Kurden leben“, beklagt sich der Lehrer Hirmiz. „Wir sind für sie Ungläubige, und deshalb betrachten sie uns als minderwertig.“ 600 christliche Familien leben in Zakho, einer Stadt von 120.000 Einwohnern. Sie sind Assyrer, Chaldäer oder Armenier. Jede Gemeinde hat ihre eigene Kirche, spricht eine besondere Sprache, folgt einem eigenen Ritus.
Die chaldäische und die assyrische Kirche liegen direkt nebeneinander, in einem Viertel, das nur von Christen bewohnt wird. Es sind keine reichen Kirchen: Auf dem Boden liegt abgewetzter Teppichboden, die chaldäische Kirche wird von einer blechernen Uhr in Form eines Schwans geschmückt, neben einem Lüster hängt eine tütenförmige Küchenlampe aus den fünfziger Jahren.
Zakhos Christen sind fromm: Sogar zur Fünf-Uhr-Messe eines normalen Werktags füllt sich die Kirche. Und sie zeigen ihre Frömmigkeit: Fast alle tragen ein Kettchen mit einem goldenen Kreuz um den Hals. In ihrer Frömmigkeit liegt auch Protest gegen eine Umwelt, die sie heute mehr denn je als feindlich erleben.
Viele Christen sind in der Stadt geblieben, als die Kurden flohen. Oder sie sind sehr bald aus den Lagern in den Bergen zurückgekehrt. „Wir haben keine Angst vor den Arabern“, begründet Nura, eine Armenierin, ihren Verbleib in der Stadt. „Unser Problem sind vielmehr die Kurden.“ Die Kurden hingegen sehen in den Christen potentielle Kollaborateure mit dem Saddam-Regime. Und sie haben sie im Verdacht, sich an den Beutezügen der irakischen Soldaten durch die verlassenen Häuser beteiligt zu haben. „Jetzt kommen Kurden mit der Waffe in der Hand und durchsuchen unsere Häuser nach Sachen“, beklagt sich die Chaldäerin Leila. Gegen eine kurdische Autonomie, wie sie zur Zeit in Bagdad verhandelt wird, hat sie nichts einzuwenden. „Ich will nur nicht drin leben.“
Die kulturellen Unterschiede zwischen der kurdischen Mehrheit und der christlichen Minderheit scheinen gering: In beiden Gemeinschaften wird sehr früh geheiratet, fast immer suchen die Eltern den Ehepartner aus, acht bis zehn Kinder sind die Regel, die Frauen bleiben zu Hause. Freilich richten sich die ChristInnen stärker nach dem Westen aus: Sie lernen oft westliche Sprachen, schminken sich, auch die Mädchen gehen zur Schule. Um sie herum bleibt das die Ausnahme. „Hier gibt es keine Freiheit für uns“, klagt Nura.
Doch nicht alle Christen wollen weg aus dem Irak. Der armenische Priester von Zakho, Vater Kevork, meint: „Wenn es Probleme mit den Kurden gäbe, könnte ich mich nach Bagdad absetzen, dort gibt es keine Schwierigkeiten für uns. Daran wird auch die kurdische Autonomie nichts ändern. Politik geht uns nichts an.“ 2.000 Armenier leben noch hier. Viele seien nach Bagdad gezogen, berichtet der Priester. Seinen Namen sagt er nur ungern.
Immerhin: der Chaldäer Bedri, der in Zakho einen Granatapfelsaftstand betreibt, findet das Leben hier nicht schwierig. Er will in Ruhe leben, seine Hände weiterhin von den Granatäpfeln rot färben lassen — und irgendwann einmal eine Chaldäerin heiraten. Er habe als Christ keine Probleme, betont er. Bei dem Wort „Christ“ senkt er die Stimme und schaut sich unwillkürlich um.
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