Brandenburgs LeherInnen lernen Lohnverzicht

Um die Entlassung von 6.500 KollegInnen zu vermeiden, kürzen LehrerInnen ihre Arbeitszeiten und Gehälter um 20 Prozent  ■ Von Vera Gaserow

Berlin (taz) — Mit deutlicher Mehrheit haben die 34.000 LehrerInnen im Bundesland Brandenburg jetzt einer bislang einmaligen Regelung zugestimmt: Um die Entlassung von insgesamt 6.500 KollegInnen zu vermeiden, werden vom 1. Juli an sämtliche brandenburgischen LehrerInnen zwanzig Prozent weniger arbeiten und damit auch auf 20 Prozent ihres Gehaltes verzichten.

Nach wochenlangen Diskussionen, zahllosen Personalversammlungen und heftigen Protesten haben sich nun doch beinahe sämtliche brandenburgischen LehrerInnen für maximal drei Jahre zu Arbeitszeitverkürzung und Lohnverzicht verpflichtet. Nur 189 von 34.000 PädagogInnen weigerten sich, einen entsprechen Vertrag mit dem Bildungsministerium zu unterzeichnen. Durchgehend für einen ganzen Arbeitsbereich bindend, ist diese Regelung ein Novum auch für die Altbundesländer, in der seit Jahren über Umverteilung von gesellschaftlichem Reichtum, Arbeitszeitverkürzung und über Konzepte gegen Arbeitslosigkeit diskutiert wird.

Tatsächlich scheint der brandenburgischen Bildungsministerin Marianne Birthler, (Bündnis 90/Grüne) ein „Geniestreich“ gelungen zu sein, als sie im April zusammen mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und dem brandenburgischen Lehrerverband eine ganz einfache Rechnung aufstellte: Ähnlich wie die anderen neuen Bundesländer hatte auch Brandenburg vom alten DDR-Regime einen personell aufgeblähten Schulapparat geerbt. Von den 34.000 LehrerInnen im rot- grün-gelb regierten Bundesland hätten 6.500 gehen müssen. Massenentlassungen mit einer Flut von komplizierten „bedarfsgerechten“ Einzelkündigungen schienen unausweichlich. Nach den Kriterien des bundesdeutschen Kündigungsschutzgesetzes hätten diese Entlassungen sozialen Kriterien folgen müssen.

Danach hätten vor allem jüngere und kinderlose LehrerInnen so gut wie keine Chance auf Weiterbeschäftigung in ihrem Beruf gehabt, und die über 50jährigen wären in den vorzeitigen Ruhestand abgeschoben worden. Geblieben wäre ausgerechnet die Generation des „Mittelalters“, die sich in den 40 Jahren DDR- Geschichte nicht gerade mit pädagogischem und persönlichem Ruhm bekleckert hat. In Brandenburg wollte man anders aus dem Dilemma herauskommen als mit Massenentlassungen und vernunftwidriger Selektion. Wenn alle 34.000 LehrerInnen 20 Prozent weniger arbeiten und verdienen würden, bräuchte außer den politisch „Belasteten“ niemand zu gehen. In spätestens drei Jahren, so die Rechnung, habe man dann über den „natürlichen Abgang“, sprich über Verrentung und vermehrte Teilzeitarbeit auch ohne Kündigungen den vorgeschriebenen Stellenplan erreicht.

Die brandenburgische GEW und der Lehrerverband stimmten diesem Modell am 10. April schriftlich zu und in den vergangen Wochen begab man sich auf „Akzeptanzsuche“ bei den Betroffenen. In vielen Schulen stießen Ministerin Birthler und ihre Abgesandten auf heftigen Protest. Ein immer wiederkehrendes Argument: zuerst sollten doch, bitteschön, die alten SED-LehrerInnen gehen, bevor man über Lohnverzicht nachdenke. Viele fühlten sich auch von der Vereinbarung schlicht erpreßt, denn eins war klar: Wer diesem Modell zur Arbeitszeitverkürzung nicht zustimmt, muß mit einer Kündigung rechnen. Etliche LehrerInnen unterschrieben deshalb auch nur mit knirschenden Zähnen. Andere haben schon jetzt gerichtliche Klagen angekündigt.

Daß das sogenannte „Brandenburger Modell“ dennoch auf große Zustimmung unter den Betroffenen gestoßen ist und inzwischen über die Landesgrenzen hinweg Furore macht, hat jedoch auch mit einer einmaligen historischen Situation zu tun: Der verordnete Lohnverzicht nämlich wird den LehrerInnen dadurch versüßt, daß in den fünf neuen Budnesländern vom 1. Juli an der BAT-Tarif Ost gilt. Die in der Ex- DDR nicht gerade fürstlich belohnten Pädagogen bekommen dann 60 Prozent des stattlichen Gehalts ihrer West-Kollegen. Und trotz des zwanzigprozentigen Lohnverzicht machen die Brandenburger LehrerInnen damit einen gehörigen Einkommenssprung. Ein 25jähriger Lehrer in Potsdam oder Frankfurt/Oder wird nach dem „Brandenburger Modell“ dann zwar statt 2.000 Mark brutto nur 1.600 verdienen, aber das sind immer noch 500 Mark mehr als jetzt.

Auf andere Arbeitsbereiche und zu einer anderen Zeit wäre das „Brandenburger Modell“ wohl kaum anwendbar. Doch zumindest auf den Schuldienst der übrigen neuen Bundesländer wäre es durchaus übertragbar. Denn auch dort stehen im Sommer Massenentlassungen an: In Mecklenburg-Vorpommer werden rund 6.000 Kündigungen „gehandelt“. In Thüringen und Sachsen-Anhalt werden jeweils knapp 3.000 LehrerInnen gehen müssen, und in Sachsen rechnet man mit 10.000 bis 20.000 anstehenden Kündigungen im Schuldienst. Genaue Zahlen halten die anderen Bundesländer jedoch füglich unter der Decke. Auch nach welchen Kriterien diese Entlassungen vorgenommen werden sollen, sagen die Kultusministerien bisher nicht. Die GEW, die das „Brandenburger Modell“ als „einfallsreich“ und „einen gangbaren Weg“ lobt, signalisiert zwar, daß sie auch in anderen Bundesländern an einem ähnlichen Modell mitarbeiten würde, doch die Kultusminister reagieren, gelinde gesagt, „zurückhaltend“. Hinter den Kulissen, so berichtet Ministerin Birthlers Pressesprecher Stefan Woll, habe man viel Zustimmung für die Idee geerntet. Doch das Modell, so Ministeriumssprecher Stefan Woll, habe halt nur den einen Fehler: daß es ausgerechnet im rot-grün-gelben Brandenburg „erfunden“ wurde. Da spiele bei den anderen Kultusministern wohl ein gehöriger Schuß Neid mit, „daß sie den Stein der Weisen nicht vor der eigenen Haustür gefunden haben“.