SPD-Länder gegen Entlastungsgesetz

■ Niedersachsen, Saarland und Hessen befürchten Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit durch verkürzte Verfahren/ Schröder: Technokratische, aber keine rechtspolitische Diskussion

Berlin (taz) — Knapp vier Wochen nach der einstimmigen Verabschiedung eines Entwurfs für ein sogenanntes „Justizentlastungsgesetzes“ durch die Länderjustizminister zeigen sich erste Risse in der gemeinsamen Front. Der am 24. April von allen Justizministern und -senatoren beschlossene Gesetzentwurf, der vermutlich am 5.Juli im Bundesrat eingebracht und dem zuständigen Rechtsausschuß zur Beratung vorgelegt wird, ist bereits vom Deutschen Anwaltsverein und vom Deutschen Richterbund heftig kritisiert worden.

Der wichtigste Kritikpunkt der Juristen an dem Gesetzentwurf ist, daß er vorsieht, Rechtsmittel drastisch zu beschneiden und Berufungen zu erschweren. So ist geplant, in der Zivil- wie auch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit den Einzelrichter zum „gesetzlichen Regelrichter“ werden zu lassen. Außerdem soll es künftig bei Geldstrafen bis zu 30 Tagessätzen keine Rechtsmittel mehr geben. Schließlich können Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr ohne mündliche Hauptverhandlung durch einen schriftlichen Strafbefehl verhängt werden, wenn sie zur Bewährung ausgesetzt sind.

Inzwischen hat der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) seine Justizministerin Heidi Alm-Merk, die wie ihre Kollegen dem Entwurf zugestimmt hatte, öffentlich zurückgepfiffen und den Gesetzentwurf als „abenteuerlich“ bezeichnet. Offensichtlich sei bisher auf Justizministerebene „nur eine technokratische, nicht aber eine rechtspolitische Diskussion geführt worden“, erklärte Schröder der 'Süddeutschen Zeitung‘. Die Begründung des Entwurfs, daß die Verkürzung des Rechtsschutzes notwendig sei, um Personal aus dem Westen für den Einsatz in Ostdeutschland freizusetzen, nannte der niedersächsische Ministerpräsident vordergründig und falsch.

Auch das Saarland und Hessen haben mittlerweile rechtsstaatliche Bedenken gegen die geplanten Änderungen des Strafprozeß- bzw. Beweisantragsrechts geltend gemacht und wollen den Entwurf daher nicht in den Bundesrat mit einbringen. Schleswig-Holstein berät heute im Kabinett über die Vorlage. Damit ist ihre Verabschiedung inzwischen wieder fraglich geworden. Allerdings ist die Haltung der sozialdemokratisch regierten Bundesländer auch nach mehreren Wochen der Diskussion nicht einheitlich. Nach Auskunft des Bremer Justizsenats wird der Antrag voraussichtlich noch von elf Bundesländern getragen. Barbara Geier