IAEO beruhigt sowjetische Atomopfer

■ Sowjetische Messungen sind nach Ansicht der IAEO-Experten korrekt gewesen/ Aussagen über Krebserkrankungen nur mit großer Vorsicht/ IAEO: Bevölkerung ist krank durch Tschernobyl-Streß

Berlin (taz/ap) — Fünf Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hat die Wiener Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) erstmals eine internationale Vor-Ort- Studie zu den Folgen der Katastrophe vorgelegt. IAEO-Pressesprecher Hans Meyer sagte gegenüber der taz, das herausragende Ergebnis der 1.000seitigen Studie sei, daß die russischen Behörden in den vergangenen Jahren korrekte oder sogar zu hohe Belastungswerte gemessen hätten. Insbesondere die Trinkwasserverseuchung und die Belastung mit Strontium und Cäsium sei in den belasteten Gebieten Weißrußlands, Rußlands und der Ukraine eher überschätzt worden. Über die Jodverseuchung könnten fünf Jahre nach dem Unglück wegen der kurzen Halbwertzeit des Nukleids keine Angaben mehr gemacht werden.

Für die eineinhalbjährige Studie seien 9.000 Menschen in 33 besonders belasteten Orten außerhalb der direkten Sperrzone untersucht worden, sagte Meyer. Die Ergebnisse seien mit denen aus sieben unbelasteten Kontrollorten verglichen worden. Die Belastung in den untersuchten Ortschaften halte sich „im erwarteten Level, so daß man dort leben kann“. Die von der UdSSR verfügten Strahlenschutzmaßnahmen werden in der Studie sogar als zu streng bewertet. Sie überstiegen „generell jenes Maß, das man als unbedingt nötig ansehen müßte“.

Pressesprecher Meyer betonte, Aussagen über die Zahl der zusätzlichen Krebserkrankungen hätten „keine Signifikanz, da man das erst auf längere Sicht feststellen könnte“. Wissenschaftler hatten keinen massiven Anstieg der Krebserkrankungen festgestellt, aber vor mehr Schilddrüsentumoren bei Kindern in der Zukunft gewarnt. Sie schränkten ein, daß die vorhandenen Daten allerdings nicht detailliert genug gewesen seien, um einen Anstieg bei manchen Tumorarten auszuschließen. Idealerweise hätte diese Arbeit viel länger und mit mehr Aufwand betrieben werden sollen. Auch Meyer beschrieb Untersuchungen der IAEO- Experten als nur „punktuell“.

Bei aller Unsicherheit über die Ergebnisse und langfristigen Folgen: Sicher waren sich die 200 Wissenschaftler aus 25 Ländern, daß die sowjetische Bevölkerung nach dem Unglück unter „krankhaftem Streß“ leide. Das größte Problem sei nämlich der Zusammenbruch des Vertrauens der Bevölkerung in die Behörden. Es sei „notwendig, das öffentliche Vertrauen wieder herzustellen“. Immerhin wollen 72 Prozent der befragten Erwachsenen aus den als belastet geltenden Zonen abwandern.

Nach offiziellen Angaben starben an den unmittelbaren Folgen des Unglücks 31 Menschen. Jüngsten Äußerungen sowjetischer Wissenschaftler zufolge geht die Zahl der Todesopfer aber in die Tausende. ten