Olympia — eine schwierige Geschichte

■ Der Chef der Olympia GmbH, Lutz Grüttke, plant die Bewerbung Berlins bis zum Herbst 1993

Wenn Lutz Grüttke an jenen Septembertag 1993 in Monte Carlo denkt, an dem das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Olympischen Spiele 2000 vergibt, dann ist ihm »nicht bange«. Da werde vor den Olympiern eine halbstündige »Präsentation in Perfektion« ablaufen, »unter Einsatz aller Medien«, vorbereitet durch ein »weltweites Lobbying-Konzept mit aller Professionalität«. Doch viel schwieriger sei die Phase dazwischen. »Das«, so sagt jener Mann, der die Olympischen Spiele der Jahrhundertwende nach Berlin holen soll, »ist eine schwierige Geschichte«.

Nicht nur eine schwierige Geschichte, sondern auch eine Geschichte mit völlig offenem Ausgang. Der Berliner Lutz Grüttke (47), gelernter Journalist, später Kommunikationsdirektor bei IBM, Vorstandsmitglied dieses Unternehmens und zuletzt Chef einer in der Schweiz ansässigen weltweit tätigen Werbeagentur, soll an dieser Geschichte wesentlich mitschreiben. Vor gut vier Wochen ist Grüttke zum Geschäftsführer der Berliner Olympia GmbH berufen worden.

Wann nun und wie mit dieser schwierigen Geschichte beginnen? Vor der Bundestagsentscheidung am 20. Juni über den künftigen Regierungssitz, da ist sich Grüttke mit Diepgen einig, soll Olympia nicht zu einer öffentlichen Angelegenheit gemacht werden. In einer ersten Phase will er erreichen, »daß die Leute sagen, das sind unsere Olympischen Spiele, Berliner Spiele«. Erleichtert werden soll der Identifikationsprozeß durch eine überzeugende volkswirtschaftliche Nutzenrechnung: Einnahmen von etwa vier Milliarden Mark, eine »totale Sanierung« Berlins im Sportstättenbau und beim innerstädtischen Verkehrssystem, die Schaffung von 8.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen auf Dauer. Olympia als »Teil des Integrationsprozesses und als Vehikel, die deutsche Ost- West-Vereinigung zu beschleunigen«.

Gelingt diese Überzeugungsarbeit und schafft es die Gesellschaft, die zusammenwachsende Stadt einigermaßen friedlich zu halten, dann wird auch der internationale Werbefeldzug leichter. Nach Grüttke soll »ab Herbst alles, was aus Berlin rausgeht, jeder Berliner Unternehmer, die Messen, natürlich die Wirtschaftsförderung Berlin, also alle, die irgendwo Kommunikationsträger sind, zum Thema Olympia sichtbar kommunizieren«. Deutsche und internationale Sportstars mit weltweiter Austrahlung wie Franz Beckenbauer, Boris Becker und Steffi Graf, der demnächst in Berlin wohnende Sergej Bubka (UdSSR) oder der Amerikaner Edwin Moses sollen zum »Botschafter Berlin« ernannt werden. Schon im Herbst will Grüttke ein Seminar veranstalten, in dem es um die Fragestellung geht: »Ist es möglich, da, wo Adolf Hitler seine Stiefel hingesetzt hat, die Jugend der Welt auch im Jahr 2000 wieder aufmarschieren zu lassen.« Grüttke empfiehlt, die »36er Spiele als angeblich unbewältigte Vergangenheit offensiv anzugehen«. Die Mitbewerber würden dieses Thema sowieso gegen Berlin einzusetzen versuchen. Günter Deister/dpa