Trotz Maulkorb kein unbedingter Gehorsam

■ Ostdeutschlands Radiochefs fordern die Rücknahme der Kündigung des stellvertretenden Intendanten des Funkhauses Berlin, Hildebrandt/ Auch die Personalräte protestieren/ Vetternwirtschaft bei Mühlfenzls Umschulungsprogramm?

Funkhaus Nalepastraße. Jetzt hat sich Rudolf Mühlfenzl (CSU), Kohls Chefabwickler für den Rundfunk der Ex-DDR, mit fast allen Radiochefs Ostdeutschlands angelegt. Die Entlassung des stellvertretenden Intendanten des Funkhauses Berlin in der Nalepastraße, Jörg Hildebrandt, hat einen offenen Konflikt zwischen Mühlfenzl und den Chefredakteuren ausgelöst. Alle Chefs — bis auf Michael Schiwack vom Jugendradio DT 64 — sowie auch die Personalräte des Funkhauses und des DFF forderten unter Protest die sofortige Rücknahme der Kündigung. Sie war am Freitag mit der Begründung ausgesprochen worden, Hildebrandt habe erneut gegen den Maulkorberlaß (»Dienstanweisung 01«) für OstrundfunkmitarbeiterInnen verstoßen. Außerdem habe er ein von Mühlfenzl initiiertes Umschulungsprogramm in einem Interview ungerechtfertigt kritisiert. Hildebrandts Äußerungen seien nicht mit Mühlfenzl abgesprochen worden.

An der Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahme verdient, so sieht es auch der Personalrat, der Mühlfenzl-Mitarbeiter und Unternehmensberater Ferdi Breidbach, der in Sachen Public Relations auch für den Tabakkonzern Philip Morris tätig ist. Der stellvertretende Intendant hatte das beabsichtigte Programm als »wenig effektiv für die Mitarbeiter, aber lohnend für den Organisator« bezeichnet und sich dagegen gewandt, daß im Funkhaus entwickelte Umschulungskonzepte nicht berücksichtigt würden. Die Mühlfenzl-Maßnahmen sollten »der Öffentlichkeit ein Trugbild großzügiger sozialer Auffangmaßnahmen vermitteln«.

Weil Hildebrandt seine Äußerungen nicht, wie von Mühlfenzl gefordert, »öffentlich richtigstellen« wollte, sprach Mühlfenzl eine »Änderungskündigung mit sofortiger Wirkung« aus und bot Hildebrandt die »Fortführung des Arbeitsverhältnisses als verantwortlicher Mitarbeiter für Sonderprojekte« an.

Hildebrandt, der sich seit Übernahme seines Amtes im September 1990 nie an den Maulkorberlaß gehalten hatte, war in den vergangenen Monaten bereits einmal verwarnt und einmal abgemahnt worden. Hildebrandt, der SPD-Mitglied ist und 25 Jahre lang Lektor bei der Evangelischen Verlagsanstalt war, hatte insbesondere die Staatsnähe Mühlfenzls, seine Lobbyaktivitäten für den Privatfunk und seine »Konquistadorenart« bei Entscheidungen kritisiert. Mühlfenzl, so Hildebrandt, gehe »ausgesprochen restriktiv und auch nicht immer demokratisch vor«. Mit ihm seien statt helfender Westberater »kalte Rechner« im Privatfunkinteresse gekommen. Das Ziel des Rundfunkbeauftragten sei nur die Abwicklung der Reste des DDR-Rundfunks, nicht seine Überführung. Auch die schnelle Übernahme von DFF-Frequenzen durch ARD und ZDF war Hildebrandt ein Dorn im Auge.

Im Mittelpunkt der Kritik der Ostradiochefs steht nun, daß mit der Amtsenthebung durch Mühlfenzl »die Chance vergeben wurde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorzuleben«. Der Rundfunkbeauftragte lasse »kontroverse Standpunkte nicht produktiv werden«. Hildebrandt hingegen habe, »indem er diesen ‘Maulkorb‚ von Anfang an für sich nicht akzeptierte, gezeigt, was Demokratie schafft: Selbstbestimmung, Toleranz, unbedingten Freiheitswillen und die Wahrung der Menschenwürde«, heißt es in der Erklärung der Chefredakteure.

Mühlfenzl habe es nicht geschafft, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hörfunks zu verdeutlichen, wofür er Loyalität beanspruche. »Wenn er jetzt Loyalitätsbeweise abfordert und deren vermeintliche Nichterbringung abstraft, kann er sie nur für sich als Person verlangen. Wenn er aber mit seiner Person nicht Inhalte gemeinsamer Arbeit zu verbinden in der Lage ist, kann diese Form der Loyalität nur ‘unbedingter Gehorsam‚ heißen. Dazu sind wir nicht bereit.«

Hildebrandt selbst teilte mit: »Rudolf Mühlfenzl irrt sich wieder einmal in der Beurteilung hiesiger Denk- und Handlungsweisen, wenn er meint, sich auf diese formale Art der Auseinandersetzung mit kontroversen Standpunkten entziehen zu können.« kotte

Siehe auch Dokumentation Seite 22