Sport und Liebe

■ Rückblick auf das Tanzfestival in der Akademie der Künste

Die intime Körpersprache des Verlangens und die sportive Erschöpfung des Körpers in der Freizeit: zwischen diesen Polen bewegten sich die beiden New Yorker Tanz-Companien von Susan Marshall und Bill T. Jones, mit denen das Tanztheaterfestival der Akademie der Künste (West) begonnen hatte. Grundmuster sozialer Strukturen schimmerten durch die Choreographien, die zum Kommentar gesellschaftlicher Formen wurden. Mit der Gruppe Cie Taffanel aus Frankreich und dem ebenfalls aus New York stammenden Duo Creach und Koester verband sie eine Sprache der Bewegung, der die bewegten Bilder des Films vorausgegangen waren. Ebenso wie die populären Stilisierungen der Geschlechterrollen tauchten Zitate aus alten Tanz- und Revuefilmen überall als Material auf; Geschwindigkeit und Synchronität von tänzerischen Aktivitäten, die sich nicht mehr aus einer Perspektive gebündelt in den Blick nehmen und kontrollieren lassen, könnte man fast als Ergebnis des Konkurrenzkampfes der Bewegung von Tänzer und Kamera sehen.

Mit zwei in ihrer Intensität lange nachklingenden Duos, die sich im Rückblick auch durch ihre konzentrierte Stille aus den vorbeirauschenden Bildern herausheben, begann der Auftritt der Susan Marshall & Company. Das kurze Männerduo Arms war aus der männlichen Geste der Berührung an der Schulter entwickelt; zwei fast aneinander gefesselte Körper erlitten die Instabilität der Gesten des Vertrauens, die schnell in solche der Beherrschung umkippten. In Kiss, einem Pas de Deux, zelebrierten die in Gurten hängenden Tänzer mit verlangsamten Bewegungen eine somnambule Liebschaft, einen vom wachen Bewußtsein weit entfernten, verlorenen Rauschzustand. Um eine Rückkehr in die Gegenwart aus der schmerzlichen Erinnerung ging es dagegen in Forsythia von Bill T. Jones. Er choreographierte das Stück nach dem Tode seines langjährigen Lebens- und Tanzpartners Arnie Zane. Der schwarze Athlet und der untersetzte Weiße erfanden Bewegungen, die den Kontrast der Gestalt und der körperlichen Erfahrungen nicht durch eine übergestülpte Tanzästhetik zukleisterten. In Forsythia spielt Jones noch einmal die Stimme Zanes ein, der ihre Choreographien oft mit sprachlichen Kommentaren brach und ironisierte. Jones geistert nun wie ein Narziß ohne Spiegel durch die Traumerzählungen Zanes aus dem Off. Sein Tanz ist ein Wiederhineinfinden in die eigene Kraft, als würde er das verloren gegangene Bild seiner selbst aus der Unterwelt beschwören. Um diesen athletischen und schon zur Arabeske sublimierten Ausdruck des Schmerzes windet sich der kleine Arthur Aviles. Stilisiert als Pan, bockbeinig hüpfend wie einst Njinsky, verkörpert er eine geballte Ladung Exotik und Erotik und die Verführung, sich dem Leben zuzuwenden.

Einen schwachen Abglanz nur dieser physischen Präsenz strahlte die dritte New Yorker Gruppe aus: Das Männerduo Terry Creach und Stephen Koester, ein überflüssiger Nachschlag, zeigte vier Stücke, von denen eines ebenfalls von Bill T. Jones stammte. Wieder ging es um das Vertrauensverhältnis zweier Männer: der eine, der sich aus gekauerter Hockstellung wie eine Rakete in die Luft wirft, braucht den Schutz des anderen. Ein autoritäres Verhältnis entwickelt sich zu einem der Gleichheit, die erst das Vertrauen ermöglicht. Aber das möglicherweise spannende Thema verkam bei Creach und Koster zu einem Posieren, das sie nicht ins Groteske zu wenden vermochten.

Die unglaublich vielgestaltige Energie der Bill T. Jones/ Arnie Zane & Co-Company, ihre virtuose Plünderung von klassischem Ballett, modernem Tanz, Sport, Revue, Synchronschwimmen, auch von aggressivem, kämpferischem Material, ergoß sich in D-Man in the Waters. Grünschimmernd in Badedreß und Kampfanzug schütteln sie Fäuste und gehen auf Spitze, rollen über die Bühne und schlittern auf dem Bauch, ohne je der sprudelnden Musik von Mendelssohn-Bartholdy Gewalt anzutun. Ständig neue Bewegungsimpulse, wechselnd von allen Mitgliedern der Company ausgehend, halten das Bild im Fluß, lassen keine Erstarrung der komplizierten Strukturen zum Ornament zu. Es ist der spielerische Genuß der Unordnung, die jedem seinen Bewegungsraum läßt. Besonders an der Einbeziehung eines korpulenten Tänzers, der zu vier ausgezehrten Ballettratten das Gegengewicht halten könnte, wird die Fähigkeit der Company deutlich, aus dem begrenzten Raum der tänzerischen Konventionen aufzubrechen und eigenes Bewegungsmaterial zu finden.

Bill T. Jones/ Arnie Zane & Co, Stars des diesjährigen Programms, wurden vor über zehn Jahren vor allem durch ihr politisches Verständnis von Tanztheater, das sie zum Beispiel als Ort der Artikulation schwarzer und schwuler Identität zu nutzen wußten, bekannt. Daß sie ihre Stücke mit Schwarzen und Weißen, Frauen und Männern, Großen und Kleinen besetzten, galt allein schon als Rebellion gegen die Konventionen der Tanzästhetik. Zwar zeigten sie sich auch jetzt mit ihrem ersten Programm von ihrer schönsten Seite; allein ihre inhaltliche Sprengkraft war nicht mehr nachzuvollziehen.

An Dynamik und Expressivität war die Jones-Company der von Susan Marshall wohl überlegen. Deren sportive Choreographie Contenders verjubelte sich nicht in himmlischer Leichtigkeit, sondern zehrte vom irdischen Schweiß. Der Sport als ein Nachholen des Lebens durch leistungsorientierte Verausgabung wurde hier nicht nur als Bewegungspool genutzt, sondern zum Thema. Unter dem harten Licht verbreitete sich bitterer Schweiß; häßlich stellten sich die Tänzer aus, marschierten mit proletarischem Schritt auf, exponierten sich bis zur Erschöpfung, um wie nasse Säcke abgeschleppt zu werden. Komisch betonten sie die Banalisierung einer Bewegungssprache, die aus längst vergessenen, feudalen Vergangenheiten in die Posen des Siegers gerutscht ist. Sie verrieten die Absurdität einer ins Leere laufenden körperlichen Ertüchtigung mit plumper Artistik.

Das vierte Gastspiel kam unverkennbar aus Frankreich, erweckte doch die Tonkulisse aus Wassergeräuschen, Valse Musette und Chansons der dreißiger Jahre eine Stimmung, daß man jeden Moment den Auftritt von Maurice Chevalier erwartete. Mobile Sitzelemente, die sowohl das Sofa im Salon, das Treppchen der Revuegirls als auch die Boote im Hafen darstellen konnten, vervollständigten das Bild eines Sommerabends an der Uferpromenade. Auch die Choreographin Jackie Taffanel hatte sich für ihr Stück La Loutre (Der Otter) von den Bewegungen des Schwimmers, die durch den Widerstand des Wassers und seine Tragfähigkeit so unirdische werden, anregen lassen und sie mit den erotisch aufgeladenen Posen des Revuestils verschmolzen. Komisch verfremdet und heftig hysterisch durchgeschüttelt aber wurde der süße Kitsch in Rosa und Gelb durch ein ständiges Flattern und Zucken der Glieder. Jedes Sichspreizen schien mehr ein Ausprobieren des Entwurfes einer geschlechtlich definierten Identität, der zugleich mit Lust und Ekel erfüllt. Die Beine der Girls zappelten wie die Froschschenkel, die Hände der Männer wedelten wie Schwanzflossen. Vor allem das Sichproduzieren der drei Jungmänner vor den Augen ihrer Verehrten geriet dadurch zur pubertären Karikatur ihrer Großmannssucht. Mit Anlauf warfen sie sich in große Sprünge und schrumpften dann doch wieder in dem Gefängnis ihrer Körper zusammen, drückten die Knie aneinander und preßten flügellahm die Arme an den Oberkörper, als gelte es, Schwitzflecken zu verdecken. Taffanel gelang es zwar, die Prägung der Körpersprache durch den Blick des anderen Geschlechts, das immer voyeuristisch aus irgendeiner Ecke hervorlugte, zu verdeutlichen; doch über diese amüsante Decouvrierung des Klischees hinaus, die dem Tanztheater nun schon seit Jahrzehnten als klassisches Thema dient, fand keine Entwicklung statt.

Katerstimmung ließ das Festival am Ende bei einem Teil des Publikums zurück. Der Zwang zu sparen, der dem Organisator Dirk Scheper weitschweifende Informationsreisen und aufwendige Einladungen verbat, schlug sich leider als Konzeptionslosigkeit nieder: Eingeladen wurde, was gerade verfügbar war. Die Aneinanderreihung von kurzen Stücken der New Yorker Gruppen erweckte den Eindruck eines pflegeleichten Reiseprogramms, je nach Bedarf zusammensetzbar, das auf die Dauer ermüdet. In dieser Form bot das Festival weder genügend Attraktionen und Abwechslung für den hemmungslosen Konsum, noch konnte es dem Tanz einen neuen Kontext seiner Lesbarkeit erschließen. Katrin Bettina Müller