Härte fürs Gefühl

■ Andrea Dworkin las im Literaturhaus aus ihrem Roman »Eis und Feuer«

Sicher ist es möglich, über die exakte Definition von Vergewaltigung zu diskutieren, und es ist möglich, über qualitative Schattierungen von Pornographie zu reden. Man kann auch, gestützt auf statistische Erhebungen und empirische Untersuchungen, über die Interdependenz von Vergewaltigung und Pornographie schwadronieren. Mit dieser Absicht allerdings hatte sich Andrea Dworkin, die derzeit wohl dezidierteste Gegnerin der Pornographieindustrie, offensichtlich nicht auf den Weg von New York ins Berliner Literaturhaus gemacht. Und das überraschte dann doch.

»Wir bauen uns Brücken aus Relativierungen und Differenzierungen, damit wir irgendwie schadlos durchkommen; Frau Dworkin beschreibt uns den Abgrund«, hatte Ann- Kathrin Scheerer in ihrem einleitenden Referat angekündigt und sich damit in den schwierigen Spagat begeben. Andrea Dworkin einerseits im Kontext der 87er 'Emma‘-PorNO- Kampagne und andererseits als literarische Autorin von Eis und Feuer vorzustellen. Eine Grätsche zwischen »Pornographie als Theorie der Vergewaltigung... und der allgegenwärtigen Gewalt — Dreck, Gestank, Kälte, Armut und Schmerz: Zeitgeschichte.«

Eis und Feuer ist Dreck, Gestank, Einsamkeit, Armut und Schmerz. Es ist die leidenschaftlich, nicht mitleidig in Wortbilder gesetzte Hitze und Kälte eines weiblichen Lebens. Wie die Ich-Erzählerin gefangen ist im Ghetto einer Mädchenkindheit, die spielerisch das Vergnügt-Werden einübt, wie sie später in der New Yorker Lower-East-Side, wo Körper gegen Körper um das Obenliegen kämpft, lebens- und drogenbesessen ihre Haut als einzig verfügbares Zahlungsmittel, nicht ins Spiel, sondern in den schändenden Ernst bringt, sich daraus hervorkämpft, schreit und schreibt; und wie die Autorin jetzt ihren Beat in die Kulturhalle des Literaturhauses zu Berlin schleudert, wie einst Ginsberg, wispert wie Ferlinghetti, wie sie dann, als die Bande der Vergewaltiger vor der Tür steht, atemlos rapt... das konnte nicht eingeholt, vermittelt, übersetzt werden. Es muß — peinlich für uns relativierenden Kopfgrößen! — erlitten werden und stand, bei aller Dworkinschen geduldigen Freundlichkeit, jenseits der braven Wortmeldung: »Ja, aber...

Das eben war unerwartet. Dworkin berichtet nicht vom Hochsitz der vorangeschrittenen Pornographie- und Vergewaltigungstheorie über aktualisierte Wahrheiten, sondern schildert ein Leben von der Innenseite des Erfahrenen. Sie übersetzt in Kunst, was es an Tatsächlichkeiten jenseits einer gepflegten Gleichberechtigungsdebatte so gibt. Sie ist nicht die PorNOgraphie-Theoretikerin, wie sie uns die Alice Schwarzer PR-Maschine Talk-Show beflissen verkaufen wollte, und sie ist auch nicht die Lieferantin einer kuscheligen Ich-auch-Identifikationsliteratur. Sie schreibt Literatur, und zwar unverschämterweise über Dinge, die nicht als literaturfähig gelten.

So konnte sich dann auch eine angehende Berlin-Metropolitin nicht so recht in die Hauptdarstellerin von Eis und Feuer wiederfinden, wie sie in der anschließenden Aussprache freimütigst bekannte. »Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß in den USA eine Frau bis zu ihrem 70. Lebensjahr zweimal vergewaltigt wird«, bemühte sich eine andere um diskussionsrelevante Markierungspunkte.

Doch Dworkin insistierte gegenüber beiden auf So-nicht-verstanden-werden-Wollen: Der ersten empfahl sie schlichtweg die Lektüre anderer Bücher, der zweiten hielt sie ihre eigene Müdigkeit angesichts wissenschaftlicher Mißbrauchserhebungen entgegen. Solche Debatten, solche fruchtlosen Objektivierungen sei sie leid. »Ich schreibe, damit sich ein Gefühl durchsetzt, das Gefühl, daß es so nicht gehen kann — egal, wie die Zahlen sind.«

Die, die sich mit diesem Gefühl konfrontieren mag, kann es heute, am Donnerstag in der Schoko-Fabrik in Kreuzberg, Mariannenstraße 6 um 20 Uhr tun, wo Andrea Dworkin noch einmal aus ihrem soeben in Deutsch erschienenen Buch Eis und Feuer liest. Peter Blie