Die Metamorphosen des Songpoeten

„Bob Dylan wird 50 — 11 Entwürfe für 1 Geburtstagsgruß“, B3, 22.50 Uhr  ■ Von Matti Lieske

Über Tote soll man nichts Schlechtes sagen, heißt es im Volksmund, und auch nicht über Fünfzigjährige. Eine Devise, die Gerold Hofmann und Ulli Pfau in ihrem Film zum 50. Geburtstag von Bob Dylan am 24. Mai getreulich beherzigen. Kein Wort über die Anwürfe, die sich der selbsternannte Songpoet über die Jahre hinweg gefallen lassen mußte: Judas der Bürgerrechtsbewegung, Judas der Folk Music, Judas der Rockmusik, Zionist, Sexist, Reaktionär, Rüstungsaktionär, Frömmler, Opa, Dummbeutel, seniler Verfasser von Kindergartenlyrik, Misanthrop, Arschloch, Trunkenbold, und Gitarrespielen kann er auch nicht — Schwamm drüber, das meiste war ohnehin nicht wahr.

Zu Wort kommen in dem Film 11 Entwürfe für 1 Geburtstagsgruß nur Fans von Bob Dylan, und die kann er sich nicht aussuchen. Jahrelang mußte er es ertragen, daß US-Präsident Jimmy Carter ständig aus seinen Songs zitierte, also wird er wohl auch damit leben können, daß Exwirtschaftsminister Haussmann ihn mag und sich einmal sogar mit dem Dienstwagen zu einem Konzert kutschieren ließ. Als weitaus angenehmere Dylan-Verehrerin präsentiert sich die Schauspielerin Iris Berben, die an glorreiche Apo-Zeiten erinnert, während Daniel Cohn-Bendit deren weniger glorreiche Spätfolgen verkörpert. Er vergleicht Dylan mit Rimbaud. Warum eigentlich nicht?

Alan Bangs bewundert, daß Dylan ständig aus sämtlichen Schubladen hupft, in die er gerade hineingestopft wurde, und stets nur das macht, was er will; der Schauspieler Rolf Zacher dagegen sagt überhaupt nichts über Dylan, sondern schwärmt nur ausgiebig davon, wie wunderbar es doch sei, 50 zu sein, und wieviel wunderbarer es noch wäre, wenn man nicht immer so müde würde. Konzertveranstalter Fritz Rau redet von Dylan so ehrfürchtig wie Moses vom Herrgott, Ulla Meinecke sieht ihn eher als Propheten, Halina Bendkowski von der Berliner FrauenfrAKTION lobt ihn sehr fundiert aus feministischer Sicht („Er stört mich nicht“), Wolfgang Niedecken wünscht sich „mal ein durchgeprobtes Konzert“ von ihm, betrachtet sich nicht als „Dylan-Ayatollah“, darf aber trotzdem When I Paint My Masterpiece singen. Dies weckt sofortiges Verlangen nach der Originalfassung, welche dann deutlich macht, wie wahre Klasse klingt.

Das Leben eines Musikers besteht jedoch zuvörderst aus Musik, und es ist den Autoren des Films hoch anzurechnen, daß sie dieses erkannt haben. Etliche Filmdokumente lassen ein buntes Puzzle aus Dylans wandlungsreichem musikalischem Schaffen enstehen. Sie zeigen, wie er binnen eines Jahres vom verschüchterten Bänkelsänger, der 1964 im kanadischen Fernsehen scheu The Times They are'a Changin' ins Mikro hüstelt, zum blasierten Superstar aus der Pennebaker-Dokumentation Don't look back mutiert, die anläßlich des festlichen Ereignisses ebenfalls ins Programm gerutscht ist.

Der Film zeigt Szenen von der Englandtournee des Jahres 1965, die ein von seinem Ruhm ziemlich angeödeter Dylan absolvierte. Running Gag des Streifens ist der von den englischen Medien zum „britischen Dylan“ hochstilisierte Donovan, den der echte Dylan äußerst putzig findet. Ausgiebig macht er sich über den inferioren Kollegen lustig, bis er ihn kennenlernt und eigentlich ganz in Ordnung findet — der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die allerdings nicht allzu lange währte.

Ansonsten zeigt Pennebaker meist einen ausgesprochen frustrierten Dylan, der sich, in Carnaby- Street-Klamotten gewandet, mit Reportern anlegt, über das Publikum herzieht, zum Essen kurz ins Ausland jettet, sich nachhaltig mit Joan Baez verkracht und insgesamt mächtig angewidert wirkt. Dylan selbst konnte den Film später überhaupt nicht leiden und versuchte sogar, sein Erscheinen zu verhindern, doch die Dokumentation gibt ein recht authentisches Bild von Dylans Psyche in den Jahren vor seinem Motorradunfall und seiner Wandlung zur näselnden Country Pie.

Nicht vertreten im Geburtstagsprogramm des Fernsehens ist der wunderbare Filmflop Renaldo und Clara. Dafür kommt er in den Geburtstagsgrüßen von Hofmann und Pfau vor. Die funkensprühende Version von Tangled Up In Blue, die ein weißgeschminkter Bob Dylan mit blitzenden Augen unter seiner Hutkrempe hervorprustet, stammt aus dem Vierstundenepos, Ausschnitte aus Hard Rain und Videoclips komplettieren den musikalischen Streifzug durch fünfzig Jahre Dylan.

Höhepunkt aber ist eindeutig Dylans skandalumwitterter Auftritt bei der Grammy-Verleihung im Februar 1991. Frech grinsend und sichtlich stoned hört er sich die schwülstige Laudatio Jack Nicholsons an, um dann der kriegstrunkenen Nation voll sympathischer Perfidie seinen giftigsten Antikriegssong Masters Of War um die Ohren zu raunzen. Es geht doch nichts über schlechtes Benehmen. Herzlichen Glückwunsch zum Fünfzigsten!

11 Entwürfe für 1 Geburtstagsgruß läuft außerdem am 25.5. auf WDR3 und N3 und am 27.5. auf Südwest3. Das ZDF zeigt Don't Look Back Freitag um 23.20 Uhr